Antibiotika bei der akuten Otitis media
Untersuchung von Prädiktoren hinsichtlich kompliziertem Verlauf der Otitis media bei Kindern
und Nutzen der Antibiotika.
Titel
Predictors of poor outcome and benefits from antibiotics in children with acute otitis media: pragmatic randomised trial.
Autoren
Paul Little, Clare Gould, Michel Moore, Greg Warner, Joan Dunleavey, Ian Williamson.
Quelle
BMJ 2002; 325: 22-26
Abstract |
Fragestellung
Welche Kinder mit einer akuten Otitis media haben mit einer höheren Wahrscheinlichkeit drei Tage nach dem Arztbesuch noch Krankheitszeichen? Kann der Krankheitsverlauf bei diesen Kindern günstig beeinflusst werden, wenn die antibiotische Therapie sofort, statt (bei Bedarf) verzögert eingesetzt wird?
Hintergrund
Die akute Otitis media ist eine der häufigsten Erkrankungen bei Kindern unter fünf Jahren. Viele Kinder mit einer Otitis media werden mit Antibiotika behandelt, obwohl verschiedene Studien zeigten, dass Antibiotika den Verlauf der Krankheit nur unwesentlich beeinflussen. Durch den vermehrten Einsatz von Antibiotika wird auch die Selektion von resistenten Bakterien beschleunigt. Das besonders bei Kleinkindern vermehrte Auftreten von multiresistenten Pneumokokken, die auch eine verminderte Empfindlichkeit auf Penicillin haben, ist beunruhigend.
Es wurde mehrfach gezeigt, dass bei Kindern, die nicht zu sehr krank sind, initial eine symptomatische Therapie ausreichend ist. Wenn die Krankheitszeichen jedoch über 72 Stunden anhalten, ist eine antibiotische Behandlung indiziert.
Methoden
Studiendesign
Sekundäre Analyse einer offenen, randomisierten, kontrollierten Studie. In dieser Studie wurde bei Kindern mit einer Otitis media die sofortige antibiotische Behandlung mit einem initialen Zuwarten und einer Antibiotikagabe bei fehlender klinischer Besserung nach 72 Stunden verglichen. Diese Studie erschien in BMJ 2001; 322: 336-342.
Setting
384 Patienten von 42 Allgemeinpraktikern im Südwesten Englands.
Einschlusskriterien
Kinder im Alter von 6 Monaten bis 10 Jahren, die von ihrem Hausarzt wegen Ohrschmerzen gesehen wurden und Zeichen einer akuten Entzündung des Trommelfells aufwiesen (Trübung mit Erythem, Wölbung oder Perforation). Bei Kindern unter 3 Jahren, die Ohrschmerzen nicht konkret angeben konnten, genügte der alleinige otoskopische Befund für den Einschluss.
Ausschlusskriterien
- Akute Otitis mit Erguss und chronische Otitis
- Chronische Erkrankungen wie Zystische Fibrose, valvuläre Herzkrankheit
- Antibiotische Behandlung einer Ohrerkrankung in den vergangenen 2 Wochen
- Frühere Komplikationen einer Otitis media (septische Komplikationen, Hörverminderung)
- Zu schwere Erkrankung, um mit einer antibiotischen Therapie zuzuwarten (hohes Fieber, Schwäche, Schläfrigkeit oder fehlendes Ansprechen auf Antipyretika)
Intervention
- Sofortige antibiotische Therapie: 125 mg Amoxycillin dreimal täglich (Sirup), insgesamt 20 Dosen. Die Patienten mit Penicillin-Allergie erhielten 125 mg Erythromycin viermal täglich für 1 Woche
- Verzögerte antibiotische Therapie: Dieselben Antibiotika wurden verschrieben. Mit den Eltern wurde jedoch vereinbart, dass sie das Rezept erst in der Arztpraxis abholten, wenn das Kind nach 72 Stunden noch erhebliche Ohrschmerzen oder Fieber hatte. Allerdings konnten die Eltern auch bereits zu einem früheren Zeitpunkt mit der antibiotischen Therapie beginnen
Primäre Endpunkte
- Vom Arzt dokumentiert: Anzahl Krankheitstage, klinische Befunde
- Von den Eltern täglich protokolliert: Symptome (Ohrschmerzen, Unwohlsein, Schlafstörung), Stärke der Schmerzen, Anzahl von Unruhe-Episoden, Anzahl Dosen an Paracetamol und Temperatur
Analyse
Prädiktoren für einen ungünstigen Verlauf wurden mittels logistischer Regression ermittelt. In den Patientengruppen mit diesen Prädiktoren wurde darauf der Effekt einer sofortigen antibiotischen Therapie abgeschätzt.
Beobachtungsdauer
1 Woche.
Resultate
Basisdaten
Die beiden Interventionsgruppen waren vergleichbar bezüglich Dauer der Symptome vor dem Arztbesuch, Alter und otoskopischem Befund.
Patienten
In Frage kommend: 384 Patienten
Randomisiert: 315 Patienten
Siehe Tabelle 1
Gruppenvergleich der Endpunkte
Evaluation der Prädiktoren für einen ungünstigen Verlauf: Siehe Tabelle 2
Evaluation des Effektes einer sofortigen versus einer verzögerten antibiotischen Therapie (Evaluation nach 3 Tagen): Siehe Tabelle 3
Diskussion durch die Autoren
Durch die zusätzliche Analyse von Daten einer randomisierten kontrollierten Studie finden die Autoren, dass Kinder, die beim Arztbesuch Fieber oder Erbrechen aufweisen, drei Tage später mit einer höheren Wahrscheinlichkeit an Unruhe und Schlafstörungen leiden. Diese Patientengruppe profitiert auch am meisten von einer sofortigen antibiotischen Therapie. Allerdings zeigte die ursprüngliche Studie, von der diese Analyse abgeleitet ist, dass der Gewinn einer sofortigen antibiotischen Therapie erst nach 24 Stunden eintritt, wenn die Stärke der Symptome ohnehin wesentlich nachgelassen hat.
Zusammenfassender Kommentar
Kinder mit einer Otitis media ohne systemische Krankheitszeichen (Fieber und Erbrechen) profitieren nicht von einer sofortigen antibiotischen Therapie und haben eine gute Prognose. Bei Vorliegen von Fieber und Erbrechen, lässt sich ein Gewinn durch eine sofortige Antibiotikagabe nachweisen, allerdings ist er auch hier gering. Die Studie bestärkt den behandelnden Arzt in der Strategie, bei einer Otitis media ohne komplizierende Faktoren (s. Ausschlusskriterien) vorerst abzuwarten, symptomatisch zu behandeln und erst bei einer Persistenz der Beschwerden Antibiotika einzusetzen.
Bemerkungen zum Studien-Design und Beschreibung
Eine Schwäche der vorliegenden Arbeit ist der Umstand, dass es sich dabei um eine sekundäre Analyse einer bereits publizierten Studie handelt.
Besprechung von Dr. med. Gerhard Eich, Infektiologie und Spitalhygiene, KSSG, St. Gallen
BMJ 2002; 325: 22-26 - P. Little et al
12.02.2004 - dde