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Transdermales Buprenorphin bei starken chronischen Schmerzen

Eine randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie zur Wirksamkeit und Verträglichkeit.

Titel

Analgesic efficacy and tolerability of transdermal buprenorphine in patients with inadequately controlled chronic pain related to cancer and other disorders: a multicenter, randomized, double-blind, placebo-controlled trial.

 

Autoren

Sittl R, Griessinger N, Likar R.

 

Quelle

Clin Ther 2003;25:150-168

 

Abstract

 

 

Fragestellung 

Vergleich der analgetischen Wirksamkeit und Tolerabilität von 3 Dosierungen Buprenorphin transdermal bei Patienten, die mehrheitlich an Krebserkrankungen und chronischen Schmerzen leiden, welche mit schwachen Opioiden ungenügend kontrolliert sind.

 

Hintergrund

Für die effektive Beurteilung, Abklärung und Behand-

lung (Management) von Patienten mit chronischen Schmerzen wurden in vielen Ländern Leitfäden entwickelt und publiziert, unter anderem auf der Basis der analgetischen Leiter der WHO. Opioide spielen eine elementare Rolle in der Behandlung von Patienten mit krebs-assoziierten Schmerzen. Ihre Bedeutung bei einigen nicht malignen, chronischen Schmerzsyndromen ist wachsend.


Buprenorphin ist ein semisynthetischer partieller Agonist am m-opioid-Rezeptor und Antagonist am kappa-opioid-Rezeptor: ein gemischter Agonist/Antagonist. Das analgetische Potenzial von Buprenorphin wurde in mehreren Studien dokumentiert, auch im Vergleich mit Morphin oder Tramadol. Die analgetische Potenz, gute Fettlöslichkeit und niedriges Molekulargewicht von Buprenorphin ermöglichen seine Anwendung als transdermales System (TDS). Diese Systeme können bei Patienten mit Schluckstörungen oder schlechter Compliance hilfreich sein. Für Buprenorphin TDS ist das ein Erreichen von konstanten Serumkonzentrationen im potenziell analgetischen Bereich nach 12 bis 24 Stunden beschrieben (Intl J Clin Pract 2003:9-14).

 

Methoden

Studiendesign

Prospektive, randomisierte, placebokontrollierte, multizentrische Doppelblindstudie.

 

Setting 

157 Patienten wurden an 16 Zentren in Deutschland, Österreich und Holland eingeschlossen.

 

Einschlusskriterien
  • Chronische, schwere Schmerzen im Zusammenhang mit Krebs oder anderen Krankheiten
  • Alter: mindestens 18 Jahre
Ausschlusskriterien
  • Frauen mit ungenügender Kontrazeption, Schwangerschaft oder potenzieller Schwangerschaft, Stillzeit
  • Erhöhter intrazerebraler Druck
  • Anamnese eines Missbrauchs von zentral aktiven Substanzen oder eines zerebralen Krampfleidens
  • Frühere ausgedehnte Hautschädigung im Bereich der TDS-Applikationsstelle
  • Klinisch relevante Einschränkung der Atemfunktion
  • Überempfindlichkeit (Allergie) auf Opioide
  • Eingeschränkte Leber- oder Nierenfunktion
  • Eingeschränktes Bewusstsein
  • Behandlung mit MAO-Hemmern
Intervention

Randomisierung in 4 Arme mit Buprenorphin TDS 35.0 mg/h, 52.5 mg/h, 70 mg/h oder Placebo TDS. Sublinguale Buprenorphintabletten (0.2 mg) waren erlaubt als Durchbruchanalgesie. Am ersten Tag durften die Patienten die bisherige Opioidtherapie weiterführen, danach war nur noch Buprenorphin erlaubt. Die TDS wurden in der Subklavikulär- oder proximalen Rückenregion appliziert und alle 3 Tage gewechselt.

 

Primärer Endpunkt

Anzahl Responder in jeder Behandlungsgruppe.

Definition Responder: Benutzung von einer oder weniger Buprenorphintabletten von 0.2 mg pro Tag, vom Tag 2 bis Studienende und mindestens befriedigende Schmerzkontrolle am Tag des TDS-Wechsels.

 

Sekundäre Endpunkte 
  • Einnahme von sublingualen Buprenorphintabletten (0.2 mg)
  • Patienteneinschätzung des Grades der Schmerzlinderung (Verbal Rating Scale, VRS): tägliche Einschätzung und Eintrag ins Tagebuch, 4 Kategorien (= schlecht, befriedigend, gut, vollständig)
  • Patienteneinschätzung der Schmerzintensität: 2 x tägliche Einschätzung und Eintrag ins Tagebuch, 5 Kategorien (= kein, mild, moderat, stark, sehr stark)
  • Nicht durch Schmerzen unterbrochene Schlafdauer, Patienteneinschätzung der letzten Nacht, 4 Kategorien (= mehr als 6 Stunden, 3 bis 6 Stunden, 2 bis 3 Stunden, weniger als 2 Stunden)
  • Tolerabilität von Buprenorphin TDS: Nebenwirkungen (Frequenz, Schweregrad, Typ), ärztliche Beurteilung der Haut unter dem Buprenorphin TDS mindestens 15 Minuten nach Entfernung des TDS
Beobachtungsdauer

Die Studiendauer betrug 15 Tage.

 

Resultate

Basisdaten/Patienten

Es wurden 157 Patienten in die Studie eingeschlossen, 41 wurden mit Buprenorphin 35.0 mg/h, 41 mit Buprenorphin 52.5 mg/h, 37 mit Buprenorphin 70.0 mg/h und 38 mit Placebo behandelt.

 

Das durchschnittliche Alter war signifikant höher beim Arm 52.5 mg/h mit 63.7 Jahren, verglichen mit den 3 anderen Armen. Das Durchschnittsalter aller Patienten betrug 58.7 Jahren (Spektrum 28 bis 86 Jahre). Die beiden Gruppen unterschieden sich bei Studienbeginn weder in bezug auf Geschlecht (55% Frauen), Körpergewicht, Grösse oder Krankheitsursache des chronischen Schmerzes (Krebs-assoziierter Schmerz: 77%).

 

Als vorherige Opioidtherapie hatten 55% der Patienten Tramadol, 17% Buprenorphin, 12% Codein, 12% Morphin, 4% Piritramid und 7% Tilidin eingenommen. 9 Patienten erhielten mehr als ein Opioid vorgängig. Die Testung auf Unterschiede zwischen den Gruppen wird nicht beschrieben (der Anteil von Tramadol als vorgängige Opioidtherapie reicht von 44% bis 68% in den 4 Studienarmen).


Gruppenvergleich der Endpunkte

Es wurde eine Intention-To-Treat (ITT) Analyse durchgeführt mit 154 Patienten, 3 Patienten wurden in der ITT nicht berücksichtigt, diese sind bereits nach Randomisierung und Applikation des ersten Buprenorphin TDS ausgeschieden. 113/157 (72%) Patienten beendeten die Studie. Die Abbruchkriterien in den 4 Gruppen (Buprenorphin 35.0 mg/h, 52.5 mg/h, 70.0 mg/h, Placebo) waren Nebenwirkungen bei 17 Patienten (7%, 12%, 8%, 16%), ungenügende Wirkung bei 15 Patienten (7%, 10%, 0%, 21%) oder andere Gründe.

 

Repsonder: Die Anzahl Responder in den 4 Gruppen waren signifikant höher in den beiden tieferen Dosisgruppen im Vergleich zu Placebo (37%, 48%, 33%, 16%).

 

Durchbruchdosen: Zum Vergleich der Durchbruchdosen (Buprenorphin sublingual) zwischen den Armen wurde die Differenz von Buprenorphin-Äquivalenzdosen in der Studie im Vergleich zu den vorherigen Opioiden für jeden Arm berechnet. Die Reduktion der durchschnittlichen Durchbruchmedikation in den 4 Gruppen war für alle 3 Verumarme signifikant gegenüber Placebo, nicht aber unter den Verumgruppen (-57%, -62%, -52%, -8%).

 

Schmerzlinderung: Die Patienteneinschätzung des Grades der Schmerzlinderung war nicht signifikant unterschiedlich zwischen den 4 Gruppen, aber ein Trend ist sichtbar für eine Dosisabhängigkeit und Überlegenheit gegenüber Placebo (VRS-Score 2.3, 2.4, 2.5, 1.9. Die Anzahl Patienten mit guter oder vollständiger Schmerzlinderung betrug 46%, 40%, 44%, 32%).

 

Schmerzintensität: Bezüglich Schmerzintensität ist ein teilweise dosisabhängiger Trend zugunsten der Verumarme sichtbar, z.B. beim Anteil der Patienten (Durchschnittswerte über alle Studientage) mit keinem oder mildem Schmerz (39%, 50%, 50%, 30%).

 

Nächte mit durch Schmerz nicht unterbrochenem Schlaf: Ihre Anzahl war tendenziell höher (Durchschnittswerte über alle Studientage) für Patienten in den Verumarmen (44%, 47%, 41%, 37%).

 

Tolerabilität: Sie war vergleichbar in den 4 Armen bezüglich zentralnervösen (56%, 46%, 54%, 53%) respektive gastrointestinalen Nebenwirkungen (17%, 37%, 43%, 26%). Hautreaktionen waren häufiger unter Verum als unter Placebo (Erythema bei 43 Patienten, 29%, 29%, 32%, 18%). 17 Patienten aus allen Armen brachen die Studie ab, 5 verstarben an der Grundkrankheit, 11 hatten schwere Nebenwirkungen (5 Erythem oder Pruritus und 2 Nausea sowie 5 dosisabhängige Opioidtoxizität mit Nausea respektive Somnolenz).

 

Diskussion durch die Autoren

Die Autoren schliessen, dass ein Wechsel von oralen Opioiden auf ein transdermales Buprenorphinsystem mit sublingualer Buprenorphin Durchbruchmedikation klinisch machbar ist und adäquate Resultate erreicht werden bei dieser Patientengruppe mit einem Anteil älterer Patienten und vielen mit Krebserkrankung. Die fehlende Dosisabhängigkeit bei der Responserate wird mit der eher kleineren Patientenzahl in der höchsten Dosierung und mehr refraktären Patienten erklärt. Die Autoren betonen die hohe Responserate und positiven Resultate einzelner Studien bezüglich verringerter Nebenwirkungen mit weniger Atemdepression, Verstopfung oder Suchtpotenzial.

 

Zusammenfassender Kommentar

Eine Erweiterung der verfügbaren Opioide zur Schmerztherapie ist wünschbar. Die wachsenden Erkenntnisse über die Komplexität und Genetik von Opiatrezeptoren und des Opiatmetabolismus rechtfertigen die Untersuchung von neueren (oder wiederentdeckten) Opioiden.

 

Diese Studie dokumentiert, dass die Kombination von Buprenorphin transdermal und sublingual ein adäquates Schmerzmanagement erlaubt und die Rotation von anderen Opioiden bei den untersuchten, aber ungenügend dokumentierten, Patienten machbar ist. Diese Aussage ist gerechtfertigt, obschon die Methodologie einige diskutable Punkte aufweist, die unten zusammengefasst sind. Weitere Konklusionen, inklusive die Aussage, dass dieses Management besser ist als Buprenorphin sublingual allein (im Sinne der Patienten-kontrollierten Analgesie ohne Basismedikation), oder dass ein günstigeres Nebenwirkungsprofil, verglichen mit anderen Opioiden, besteht, sind nicht mit den vorgelegten Daten belegt. Die Nebenwirkungen beim höchsten Dosisniveau (70 mg/h) suggerieren, dass die Umrechnung der Äquivalenzdosis noch ungenügend untersucht ist. Der klinische Stellenwert dieser analgetischen Therapie wird auch abhängen von der Möglichkeit, andere Opioide mit Buprenorphin zu kombinieren, respektive zurück zu rotieren.

 

Insgesamt stellt die Verfügbarkeit eines neuen transdermalen Systems mit individueller Dosisanpassung einen klaren Fortschritt im Schmerzmanagement dar, deren Bedeutung weitere Forschungsanstrengungen benötigt.

 

Bemerkungen zum Studiendesign und Beschreibung

Bei dieser Studie sind – beispielhaft für vergleichbare Studien – einige methodologische Punkte verbesserbar.

 

Hintergrund: Es fehlen aktuelle, publizierte Angaben über die Pharmakokinetik, der Vergleich der TDS mit Fentanyl und der Matrix Technologie von Buprenorphin (Intl J Clin Pract 2003:9-13; Krankenhauspharmazie 2003;24:7-14), sowie spezifische Nebenwirkungen und Limitationen der TDS (Hautreizungen, Probleme beim Schwitzen).

 

Patienten: In den Einschlusskriterien fehlt die Definition der vorherigen analgetischen Therapie, im Abstract wird als Einschlusskriterium die ungenügende Schmerzkontrolle mit schwachen Opioiden erwähnt. Die Basisdaten dokumentieren, dass auch Patienten mit starken Opioiden (WHO-Leiter III) eingeschlossen wurden, 18/157 Patienten hatten vorgängig Morphin erhalten. Es fehlt die Beschreibung der bisherigen Massnahmen zur Schmerzkontrolle wie Dosierung (Morphin Equivalent Daily Dose, Anteil der Durchbruchmedikation), Opiatrotation, adäquate Titration der Analgetika oder Management von multidimensionalen Faktoren (z.B. psychosozial) der Schmerzempfindung. Die verschiedenen Schmerzsyndrome (somatisch, neuropathisch, bewegungsabhängig, viszeral etc.) werden nicht beschrieben.

 

Es fehlt ferner die Definition von chronischem Schmerz und von schwerem Schmerz (chronisch wird oft definiert als eine Schmerzdauer von mehr als 6 Monaten, der Schweregrad orientiert sich oft an einem Schweregrad des Schmerzes der Patienteneinschätzung. Denkbar sind aber auch andere Definitionen des Schweregrades wie Auswirkungen auf die Funktion, sozial, körperlich, psychisch).

 

Intervention: Es wird nicht beschreiben, ob eine 1:1:1:1 Randomisierung stattgefunden hat, wie randomisiert wurde, und ob eine Stratifikation angewendet wurde. Es fehlt die Definition der Durchbruchmedikation, insbesondere in welchen Zeitabständen die Patienten Buprenorphin sublingual, 0.2 mg, anwenden durften und wieviele Dosen sie zur Verfügung hatten pro Zeitintervall. Es fehlt die Beschreibung, ob 3 verschiedene Placebo-TDS eingesetzt wurden.

 

Endpunkte: Der Vergleich der mittleren Tagesdosen der Durchbruchmedikamente ist nicht nachvollziehbar, weil nicht klar definiert ist, wie umgerechnet wurde. Es ist diskutabel, ob eine Reduktion der Anzahl Durchbruchmedikamente ein für die Lebensqualität relevanter Endpunkt ist.

 

Datenanalyse: Üblicherweise werden in einer ITT-Analyse alle Patienten aufgenommen, welche randomisiert wurden. Hier wurden 3 Patienten ausgeschlossen, welche bereits die Studienbehandlung erhielten. Ob dieser formelle Fehler die
Studienaussage beeinträchtigt ist eher unwahrscheinlich. Für die Endpunkte Schmerzlinderung (VRS) und Schmerzintensität wird die Methodik zur Analyse von fehlenden Datenpunkten (missing data) nicht angegeben.

 

Effizienz: Die Methodologie zum Vergleich der Durchbruchmedikation erlaubt keinen klaren Gruppenvergleich. Es wird zwar eine gute Arbeit (Pereira J et al.) zum Vergleich der Opioide zitiert, nicht aber der verwendete Umrechnungswert. Die beschriebenen Daten erlauben keinen Rückschluss, ob die Durchbruchmedikation den Richtlinien entsprechend eingesetzt wurde.

 

Studienteam: Die 16 beteiligten Zentren werden nicht im Manuskript erwähnt.

 

Besprechung von Dr. med. Florian Strasser, Oberarzt Onkologie und Palliativmedizin, Dpt. Innere Medizin, Kantonsspital St. Gallen.

Clin Ther 2003;25:150-168 - R. Sittl et al

24.02.2004 - dde

 
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