Rasagilin bei Morbus Parkinson
Die TEMPO-Studie – Rasagilin-Monotherapie bei M. Parkinson im Frühstadium.
Titel
A controlled trial of rasagiline in early Parkinson disease: the TEMPO Study.
Autoren
Parkinson Study Group.
Quelle
Arch Neurol 2002 Dec;59(12):1937-43
Abstract |
Fragestellung
Ist die Monotherapie mit dem selektiven MAO-B-Hemmer Rasagilin in der täglichen Dosierung von 1 mg und 2 mg bei Patienten im Frühstadium des Morbus Parkinson sicher und wirksam, wenn noch keine Dopaminbehandlung benötigt wird?
Hintergrund
Rasagilin ist ein selektiver irreversibler Monoaminoxidase-Hemmer Typ B (MAO-B). In der Dosierung von 1 mg/Tag bewirkt die Substanz fast die gesamte Hemmung der MAO-B-Aktivität bei Menschen. In experimentell produzierten Zuständen einer Dopaminhypofunktion kam es nach Gabe von Rasagilin zu normaler lokomotorischer und kognitiver Funktion. In einer 10-wöchigen, randomisierten, placebokontrollierten Studie bei bislang unbehandelten Patienten mit Morbus Parkinson im Frühstadium, wurden Dosierungen von bis zu 4 mg/Tag gut vertragen. Hypertonie, Bradykardie oder andere kardiovaskuläre Nebenwirkungen traten nicht auf. Auf der Basis dieser ersten Daten wurde die beschriebene Studie zur Bestimmung von Wirksam- und Verträglichkeit bei bislang unbehandelten Parkinsonpatienten über 6 Monate geführt.
Methoden
Studiendesign
Multizentrische, randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte, klinische Parallelgruppenstudie über 26 Wochen.
Setting
Studiendauer von November 1977 bis Juni 1999. Ingesamt 404 Patienten wurden an 32 Zentren in den USA und Kanada für die Studie rekrutiert.
Einschlusskriterien
- Patienten über 35 Jahren im Frühstadium mit mindestens 2 Kardinalsymptomen des M. Parkinson
- Krankheitsstadium nicht höher als Grad III nach Hoehn und Yahr
- Bislang ohne Dopamintherapie
Ausschlusskriterien
Als Ausschlusskriterien galten:
- Patienten mit atypischen und sekundären Parkinsonsymptomen, instabiler Gesundheit wie dekompensierter Herzinsuffizienz der NYHA II oder höher
- Psychiatrische oder mentale Probleme, die die Fähigkeit des Patienten zum Informed Consent beeinträchtigen
- Vorhergegangene medikamentöse Behandlung des M. Parkinsonbehandlung oder Antidepressivagabe – einzig Anticholinergika waren erlaubt
Intervention
Die Studienteilnehmer erhielten randomisiert Rasagilin Mesylat in den Dosierungen von 1 mg oder 2 mg täglich oder Placebo. Auf eine 1-wöchige Dosisfindungsphase bei den Patienten der Verumgruppe folgte eine Erhaltungsphase über 25 Wochen. Im randomisierten doppelblindem Design entstanden folglich 3 Studiengruppen: Die erste erhielt 1 mg Rasaglin, die zweite 2 mg Rasagilin, die dritte Placebo.
Primäre Endpunkte
Primäre Wirksamkeitsbestimmungen: Therapiewirksamkeit, gemessen als mittlerer Unterschiedswert auf der gesamten «Unified Parkinson’s Disease Rating Scale» der Scores, die zu Studienbeginn und nach 26-wöchiger Therapie ermittelt wurden. Bei den Studienteilnehmern, die die Behandlung vorzeitig abbrachen oder die ärztlicherseits eine zusätzliche Dopaminbehandlung innerhalb des 26-wöchigen Therapiezeitraums benötigten, wurden die vorgesehenen Endscores vorverlegt. (Analyse entsprechend dem Intention-to-treat Prinzip).
Sekundäre Endpunkte
Sekundäre Wirksamkeitsbestimmungen: Veränderungen der mentalen Aktivitäten des täglichen Lebens, motorische Veränderungen (bestimmt als Untergruppen auf der Skala) sowie symptombasierte Untergruppen (Tremor, Steifigkeit, Bradykinesie, Gangstörungen).
Ausserdem: Veränderungen im Hoehn und Yahr Stadium sowie weiterer Skalen (der Skala zur Bestimmung der Aktivitäten des täglichen Lebens nach Schwab-England, Beck Depression Inventory Score, Zeitbewegungstests und der Parkinson’s Disease Quality of Life Scale).
Alle Patienten, bei denen es in dem 26-wöchigen Zeitraum zu einer Verschlechterung ihres Zustandes um weniger als 3 Punkte auf der Unified Parkinson’s Disease Rating Scale kam, wurden als Responder eingestuft. Zur Bestimmung des Bedarfs an Levodopa wurden die Studienärzte gebeten, die Auswirkung der Parkinsonsymptome der Patienten im Hinblick auf die Erhaltung wichtiger Funktionen hin zu evaluieren. Diese betreffen die Erhaltung der Arbeits- und Geschäftsfähigkeit, der Verantwortungsfähigkeit in der Haushaltführung sowie bei der Bewältigung alltäglicher Lebensgewohnheiten.
Zudem wurden Häufigkeit und Schwere der berichteten Nebenwirkungen registriert.
Beobachtungsdauer
26 Wochen.
Resultate
Basisdaten
Die mittleren unkorrigierten Werte auf der gesamten «Unified Parkinson’s Disease Rating Scale» betrugen nach 26 Wochen 24.8; 26.6 und 28.4 für die therapeutischen 1 mg-, 2 mg- und die Placebogruppen. Die korrigierte Wirksamkeitsgrösse betrug -4.20 Einheiten im Vergleich von 1 mg Rasagilin und Placebo (95% CI, -5.66 bis 2.73 Einheiten; p < 0.001) und -3.56 Einheiten im Vergleich der 2 mg-Dosis mit Placebo. Beide Therapiegruppe erwiesen sich gegenüber Placebo also als wirksam.
Die Responderanalyse der Patienten, die eine Veränderung um weniger als 3 Einheiten auf der Skala erreichten, ergab für Placebo 49%, für 1 mg Rasagilin 66% und 2 mg Rasagilin 67% (verglichen mit Placebo).
Gruppenvergleich der Endpunkte
Von den 138 Patienten der Placebogruppe benötigten 16.7% Levodopa, hingegen nur 11.2% der 1 mg- und 16.7% der 2 mg-Gruppe, was sich als ein Unterschied ohne statistische Signifikanz erwies (sekundärer Endpunkt).
Beide Therapiegruppen zeigten aber signifikante Verbesserungen hinsichtlich der beurteilten Lebensqualität. Dies kam besonders bei den Kriterien Selbstbild, Sexualität und soziale Rolle zum Tragen. Signifikante Besserung ergab sich in den Verumgruppen auch auf die Frage nach Einschätzung des Zustandes nach Therapieende im Vergleich zum Zustand vor 3 Monaten.
Nebenwirkungen
Die Analyse der berichteten Nebenwirkungen zeigte keine Unterschiede in den Therapiegruppen gegenüber der Placebogruppe. Bei den unerwünschten Nebenwirkungen handelte es sich meist um Kopfschmerz (12%) und eine Infektion (16%). Auch medizinische Laborergebnisse und medizinische Untersuchungen zeigten keine Unterschiede zur Placebogruppe.
Diskussion durch die Autoren
In der beschriebenen Studie zeigten sich signifikante Therapievorteile unter Rasagilin gegenüber Placebo hinsichtlich der Motorik, der Verrichtung der Alltagstätigkeiten sowie der allgemeinen Lebensqualität. Es ergaben sich aber keine Wirksamkeitsvorteile der 2 mg- verglichen mit der 1 mg-Gabe.
Der Therapievorteil von Rasagilin ist mit dem von Selegilin und dem MAO-B-Hemmer Lazabemid vergleichbar unter Berücksichtigung der publizierten Studien. Beide Substanzen haben – im Gegensatz zur beschriebenen Studie – signifikante Unterschiede hinsichtlich des Anteils der Patienten erbracht, die eine Dopamintherapie benötigten. Die Zeitdauer bis zum Bedarf an Levodopa war in dieser Studie kein primärer Endpunkt.
Die Autoren halten die Behandlung mit 1 mg Rasagilin für eine Therapieoption bei Parkinsonpatienten im Frühstadium. Weitere Studien über eine längere Dauer werden aber benötigt, um die potenzielle Wirkung von Rasagilin bei den Patienten zu bestimmen, welche Levodopa und Dopaminagonisten benötigen und um damit die Wirkung des selektiven MAO-B-Hemmers auf die Krankheitsprogression beurteilen zu können.
Zusammenfassender Kommentar
Die vorliegende Studie wurde entsprechend den heute üblichen Gepflogenheiten durchgeführt. Eindeutige Schwachpunkte sind nicht feststellbar. Die Darstellung der Resultate ist allerdings teilweise etwas summarisch. Eine stärkere Aufschlüsselung der Werte wäre wünschenswert und würde die Beurteilung erleichtern.
Die Studie zeigt, das Rasagilin bei vorher unbehandelten Parkinsonpatienten verglichen mit Placebo eine eindeutige Wirkung auf die Symptomatik hat. Dabei ist eine Tagesdosis von 1 mg derjenigen von 2 mg zumindest ebenbürtig. Das Nebenwirkungsprofil scheint durchaus positiv zu sein.
Rasagilin stellt zweifellos eine interessante Behandlungsmöglichkeit für Parkinsonpatienten dar. Das Prinzip ist allerdings nicht völlig neu. Mit Selegilin steht uns schon seit längerer Zeit ein anderer MAO-B-Hemmer zur Verfügung. Es ist noch offen, ob und allenfalls welche Vorteile Rasagilin verglichen mit Selegilin hat. Durch weitere Studien wird eine Reihe anderer offener Fragen beantwortet werden müssen. Erwähnt seien:
- Es ist nicht klar, ob die Substanz lediglich eine symptomatische oder auch eine neuroprotektive Wirkung hat. Ein eindeutiger neuroprotektiver Effekt, für den Tierversuche und in vitro-Untersuchungen sprechen, würde Rasagilin naturgemäss erheblich interessanter machen.
- Hält die Wirkung von Rasagilin länger als die untersuchten 6 Monate an?
- Wirkt Rasagilin auch in Kombination mit L-Dopa und Dopaminagonisten?
- Ist auch eine Wirkung in späteren Krankheitsstadien zu erwarten und können allenfalls die Probleme der Langzeitbehandlung (z.B. unwillkürliche Bewegungen, Fluktuationen, psychische Nebenwirkungen) reduziert werden?
Zusammenfassung von Bärbel Hirrle, Mediscope und Kommentar von Prof. Dr. med. Hans-Peter Ludin, Neurologie FMH, 9000 St. Gallen
Arch Neurol 2002 Dec;59(12):1937-43 - Parkinson Study Group
19.02.2004 - dde