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Rect Top

Präoperative Radiochemotherapie beim lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinom

Vergleichsstudie zwischen präoperativer und postoperativer Radiochemotherapie mit Fluorouracil.

Titel

Preoperative versus postoperative chemoradiotherapy for rectal cancer.

 

Autoren

Sauer R, Becker H, Hohenberger W, Rodel C, Wittekind C, Fietkau R, Martus P, Tschmelitsch J, Hager E, Hess CF, Karstens JH, Liersch T, Schmidberger H, Raab R; German Rectal Cancer Study Group.

 

Quelle

N Engl J Med. 2004 Oct 21;351(17):1731-40

 

Abstract

 

 

Fragestellung 

Verbessert die präoperative Radiochemotherapie beim lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinom das Gesamtüberleben gegenüber einer postoperativen Radiochemotherapie?

 

Hintergrund

Die postoperative Radiochemotherapie verbessert beim lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinom (Stadium II und III) signifikant die lokale Kontrolle wie auch das Gesamtüberleben verglichen mit alleiniger Operation, weshalb sie seit 1990 als Standardtherapie gilt.

 

Mehrere randomisierte Studien zeigten zudem geringere lokale Rückfallsraten mit präoperativer Radiotherapie verglichen mit alleiniger Operation. In der Swedish Rectal Cancer Studie konnte durch präoperative Kurzzeitbestrahlung (5 x 5 Gy) ein Überlebensvorteil gegenüber keiner Vorbestrahlung nachgewiesen werden.

 

Methoden

Studiendesign

Prospektive, randomisierte Phase-III-Studie.

 

Setting
  • Multizenterstudie (26 Spitäler) aus Deutschland (inkl. 3 österreichische Spitäler)
  • Patientenrekrutierung von Februar 1995- September 2002
Einschlusskriterien
  • Histopathologisch bestätigtes, resezierbares Adenokarzinom
  • Tumorstadium II oder III gemäss endorektaler Ultrasonographie
  • Tumor innerhalb 16 cm ab ano
  • Informed consent
Ausschlusskriterien
  • > 75 Jahre alt
  • vorangehendes Tumorleiden (ausser Nichtmelanom-Hautkrebs)
  • frühere Radiotherapie des Beckens
  • Kontraindikationen gegen eine Radiochemotherapie
Intervention

Die Patienten wurden nach Studieneinschluss randomisiert entweder für eine postoperative Radiochemotherapie oder eine präoperative Radiochemotherapie. Es erfolgte eine Stratifikation nach Operateur.

 

Die Radiotherapie des Beckens wurde in 28 Fraktionen à 1.8 Gy bis zu einem Total von 50.4 Gy in individuell eingestellter Grösse (3- oder 4-Felder Technik) verabreicht. Während der ersten und der fünften Radiotherapiewoche wurde 5-Fluorouracil 1 g/m2 täglich als kontinuierliche Infusion an allen Bestrahlungstagen verabreicht. Die Therapie war in beiden Therapiearmen identisch mit Ausnahme eines 5.4 Gy Boost auf das Tumorbett in der postoperativen Behandlungsgruppe. In der präoperativen Behandlungsgruppe erfolgte die Operation 6 Wochen nach Abschluss der Radiochemotherapie. Anschliessend folgten in beiden Therapiegruppen 4 Zyklen einer adjuvanten Chemotherapie mit Bolus 5-Fluorouracil 500 mg/m2 i.v. d1-5.

 

Die totale mesorektale Exzision (TME) erfolgte nach standardisierter Technik. Vor der Randomisation wurde das geplante chirurgische Procedere erfasst (ob Sphinkter-erhaltende Therapie möglich oder nicht).

 

Follow-up

Die Nachsorgeuntersuchungen erfolgten in den ersten 2 Jahren dreimonatlich, dann während 3 Jahren halbjährlich (Untersuchungen nach den Richtlinien der German Cancer Society). Histopathologische Bestätigung der lokalen Rezidive erforderlich (und wenn möglich auch bei Fernmetastasierung).

 

Primärer Endpunkt

Gesamtüberleben (80% Power für 10% absoluten Überlebensvorteil nach 5 Jahren).

 

Sekundäre Endpunkte

Krankheitsfreies Überleben, lokales Rezidiv/Fernmetastasierung, postoperative Komplikationen, akute und Langzeittoxizität, Sphinktererhaltung. Intention-to-Treat Analyse. Keine geplante Interimsanalyse für Wirksamkeit.

 

Resultate

823 Patienten wurden in die Studie eingeschlossen; 421 wurden in die präoperative und 402 in die postoperative Behandlungsgruppe randomisiert. 16 bzw. 8 Patienten wurden von der Gesamtanalyse ausgeschlossen. Die Baseline-Charakteristika der 799 Patienten waren in beiden Gruppen identisch, ausser dass signifikant mehr Patienten in der präoperativen Gruppe einen sehr tiefliegenden Tumor (< 5 cm ab ano) hatten.

 

415 wurden nach dem präoperativen Protokoll behandelt, davon erhielten 89% die geplante Therapie , 384 Patienten wurden nach dem postoperativen Protokoll behandelt, wobei 28% die postoperative Therapie nicht erhielten (davon 18%  wegen Stadium I und 10% wegen intraoperativ festgestellter Metastasierung oder postoperativen Komplikationen).

 

Downstaging: 5% in der präoperativen Gruppe vs. 40% in der postoperativen Gruppe zeigten histologisch ein Tumorstadium III. Die Rate an kompletten Resektionen und Sphinkter-erhaltenden Operationen waren in beiden Gruppen identisch.

 

Die Gesamtrate an postoperativen Komplikationen betrug 36% in der präoperativen vs. 34% in der postoperativen Gruppe. Die Anastomoseninsuffizienzrate war vergleichbar (11% vs. 12%). Die Rate an Akut- sowie Langzeittoxizität war geringer in der präoperativen Therapiegruppe, insbesondere was die akute und chronische Diarrhoe, sowie Strikturen im Bereich der Anastomose betraf.

 

Der mittlere Follow-up betrug 46 Monate. 157 Patienten sind verstorben, davon 109 am Rektumkarzinom. Zu einem lokalen Rückfall kam es bei 53 Patienten, zum Auftreten von Fernmetastasen bei 160 Patienten. 102 der 405 Patienten in der präoperativen bzw. 111 von 394 Patienten in der postoperativen Behandlungsgruppe hatten einen Krankheitsrückfall und 77 bzw. 80 verstarben daran.

 

Die 5-Jahresrate für ein krankheitsfreies Überleben betrug 68% in der präoperativen Behandlungsgruppe vs. 65% in der postoperativen Gruppe (Hazard Ratio 0.87). Die kumulative Inzidenz eines lokalen Rückfalles nach 5 Jahren betrug 6% in der präoperativen Behandlungsgruppe vs. 13% in der postoperativen Therapiegruppe (p =  0.006). Die kumulative Inzidenz für eine Fernmetastasierung nach 5 Jahren war 36% vs. 38% (p = 0.84).

 

Diskussion

Nach Jahren einer transatlantischen Kontroverse, wann eine Radiochemotherapie die beste Wirksamkeit zeigt, liegen nun Studienergebnisse vor, welche klare Argumente für ein präoperatives Vorgehen bieten.

 

Die präoperative Radiochemotherapie zeigt eine verbesserte Durchführbarkeit und hat ein günstigeres Nebenwirkungsprofil, ohne dass die perioperative Komplikationsrate relevant gesteigert wird. Die Wirksamkeit einer präoperativen Therapie ist durch ein so genanntes «Downstaging» belegt. Exemplarisch konnte in dieser Studie bei tiefsitzenden Tumoren in 61% auf eine bei Diagnosestellung notwendig erscheinende, mit Kontinenzverlust einhergehende abdomino-perineale Resektion verzichtet werden. Ein weiterer Vorteil liegt in einer signifikanten Verminderung der lokalen Rezidivrate, wenngleich sich dieser Vorteil nicht in ein verbessertes Überleben umsetzt.

 

Aus den genannten Gründen stellt die präoperative Radiochemotherapie bei Lymphknoten positiven Tumoren und/oder bei lokal fortgeschrittenen Primärtumoren (uT3 und uT4), insbesondere bei Infiltration der mesorektalen Faszie, eine Standardbehandlung dar. Zur Implementierung der präoperativen Radiochemotherapie in den klinischen Alltag braucht es standardisierte Staginguntersuchungen (untere Endosonographie oder MRI des Beckens) und eine interdisziplinäre Verständigung.

 

Studien untersuchen derzeit, ob eine neoadjuvante Radiochemotherapie bei lokal fortgeschrittenen Tumoren auch einer Kurzzeitbestrahlung (5 x 5 Gy) überlegen ist. Ein anderer Studienansatz ist die Optimierung der Chemotherapiekomponente durch Kombination weiterer Zytostatika während der Radiochemotherapie, als auch in der adjuvanten Therapie mit dem Ziel einer Senkung der lokalen und systemischen Rezidivrate.

 

 

Besprechung von Dr. med. Isabelle Senn-Schönenberger, Fachassistenzärztin Onkologie, Dr. med. Dieter Köberle, Oberarzt mbF, Fachbereich Onkologie/Hämatologie, Kantonsspital St. Gallen.

NEJM 2004;351:1731-1740 - R. Sauer et al

04.04.2005 - dde

 
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