Memantine in der Behandlung der milden bis moderaten vaskulären Demenz
Eine randomisierte, placebokontrollierte Studie bei Patienten mit vaskulärer Demenz.
Titel
A double-blind, placebo-controlled multicentre study of memantine in mild to moderate vascular dementia (MMM500).
Autoren
G. Wilcock, H.J. Möbius, A. Stöffler on behalf of the MMM 500 group.
Quelle
Int Clin Psychopharmacol 2002; 17:297-305
Abstract |
Fragestellung
Wie wirksam, sicher und verträglich ist Memantine in der Behandlung der milden bis moderaten vaskulären Demenz?
Hintergrund
Die vaskuläre Demenz ist eine häufig auftretende Erkrankung, deren Ätiologie immer noch unzureichend geklärt ist. Die derzeitige medikamentöse Behandlung besteht in erster Linie in der sekundären Prävention durch Reduzierung der Risikofaktoren. Verschiedene andere Behandlungsoptionen werden untersucht, vollständige Ergebnisse liegen aber noch nicht vor. Memantine (ein unkompetitiver N-methyl-D-aspartat-Rezeptor-Antagonist) hat nicht nur im Tiermodell seine Wirksamkeit auf das Lernverhalten gezeigt, sondern auch präklinisch seine neuroprotektive Wirksamkeit beweisen können. In jüngsten Studien konnte die klinische Wirksamkeit bei Patienten mit fortgeschrittener Demenz verschiedenen Ursprungs (inkl. der vaskulären Demenz) gezeigt werden.
Methoden
Studiendesign
Randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte, parallele Multizenterstudie in 54 Zentren in England.
Setting
Von 844 gescreenten Patienten konnten 579 Patienten randomisiert werden, 49% wurden mit Placebo, 51% mit Memantine behandelt. 31 Patienten mussten wegen unvollständiger Datenerhebung, weitere 84 Patienten wegen Abbruch der Studie ausgeschlossen werden. 464 Patienten beendeten die 28-wöchige doppelblinde Studie.
Einschlusskriterien
- Ambulante Patienten
- Hachinski ischemic score Ž 4
- Baseline MMSE scores zwischen 10 und 22
- Erstdiagnose Ž 1 Jahr alt
Ausschlusskriterien
- Sekundäre Demenz
- Depressive Pseudodemenz
- Psychomotorische Episoden
- Epileptische Anamnese
- Behandlung mit anderen in Erprobung stehenden Medikamenten, psychotropischen Medikamenten, Medikamenten mit psychiatrischen Nebenwirkungen und oralen Antikoagulantien
Intervention
579 Patienten durchliefen eine einfachblinde 2-wöchige Startphase mit ausschliesslich Placebobehandlung. Danach Zuteilung nach dem Zufallsprinzip in eine von 2 Behandlungsgruppen: Placebo bzw. Memantine auftitriert zu einer Dosis von 20 mg oral täglich, beginnend mit 5 mg täglich und Erhöhung der Dosis um 5 mg wöchentlich bis zum Erreichen einer Dosis von 20 mg täglich oral in Studienwoche 4, verabreicht als 2 x 10 mg täglich für 24 Wochen.
Primäre Endpunkte
- ADAS-cog = Alzheimer’s Disease Assessment Cognitive Subscale
- CGI-C = Clinical Global Impression of Change
- Vordefinierte Untergruppen-Analyse:
- Einfluss von MMSE scores = Mini Mental State
Examination
- Radiologischer Typ der vaskulären Demenz
- Geschlechtsspezifische Ergebnisse
Sekundäre Endpunkte
- NOSGER II total score = Nurse’s Observation Scale for Geriatric Patients
- GBS score = Gottfries-Brane-Steen total score
Beobachtungsdauer
- Einfachblinde Phase 2 Wochen
- Doppelblinde Phase 28 Wochen
- Weiterführung als offene Studie (open-label) über 24 Wochen
Resultate
Basisdaten
Die demographischen Daten in beiden Gruppen waren vergleichbar.
Patienten
Es nahmen etwas mehr Männer als Frauen an der Studie teil (52% vs. 48% in der Memantinegruppe, 51% vs. 49% in der Placebogruppe). Das Alter der Patienten betrug durchschnittlich 77 Jahre (77.2 ± 6.9 in der Memantinegruppe, 77.6 ± 7.0 in der Placebogruppe), der MMSE baseline-score betrug 17.5 ± 3.29 in der Memantinegruppe und 17.7 ± 3.22 in der Placebogruppe.
Gruppenvergleich der Endpunkte
Primäre Endpunkte
- ADAS-cog: Der Unterschied in der Veränderung des ADAS-cog score war im Mittel 1.75 (Median 2 Punkte) zugunsten der Memantinebehandlung.
- CGI-C: CGI-C war statistisch nicht signifikant unterschiedlich in den beiden Behandlungsgruppen.
- Vordefinierte Untergruppen-Analyse:
Der grösste Behandlungserfolg war bei Patienten mit MMSE baseline-scores < 15 und bei Patienten ohne radiologisch nachweisbare Läsionen zu verzeichnen. Es gab keinen geschlechtsspezifischen Unterschied im Behandlungserfolg.
Sekundäre Endpunkte
- NOSGER: Der grösste Unterschied wurde in der Untergruppe «Erinnerung» zugunsten der Memantinebehandlung verzeichnet.
- GBS: Der grösste mittlere Unterschied zwischen den Gruppen zeigte sich zugunsten von Memantine in der Untergruppe «Unterschiedliche Symptome der Demenz» (Irritierbarkeit, Ängstlichkeit, Agonie, Depression, Unruhe, Verwirrung); jedoch war der Unterschied in dieser Untergruppe wie auch in allen anderen Untergruppen ohne Signifikanz.
Diskussion durch die Autoren
Die vorliegende Studie sollte den Einfluss von Memantine auf die Symptome der vaskulären Demenz, namentlich die kognitive Funktion und den klinischen Gesamteindruck, evaluieren, nicht auf den Krankheitsverlauf selbst. Aufgrund des Fehlens der ADAS-cog Daten zum Zeitpunkt der Planung der Studie wurde ein adaptives Studiendesign gewählt, das eine Interims-Analyse einschloss, nachdem 143 Patienten die 28-wöchige doppelblinde Behandlung abgeschlossen hatten. Retrospektiv kann das Heranziehen des ADAS-cog als angemessener Parameter in VaD-Studien bezweifelt werden und sogar zu einer Unterschätzung der kognitiven Veränderungen während der Studie führen. CGI-C dagegen ist ein anerkannter Parameter in psycho-pharmakologischen Studien, und es ist schwierig zu verstehen, warum der Vorteil der Memantinebehandlung nicht durch CGI-C ratings insgesamt erfasst wurde. Zur Untersuchung der kognitiven Funktionen gibt es keinen Parameter, der speziell für Studien über Patienten mit vaskulärer Demenz (VaD) herangezogen werden kann.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Memantine nach 28-wöchiger Verabreichung einen signifikanten positiven Effekt auf die kognitiven Funktionen von VaD-Patienten zeigt. Diese Schlussfolgerung wird auch durch das gleiche Ergebnis einer Studie mit ähnlichem Design unterstützt.
Zusammenfassender Kommentar
Der ADAS-cog score nahm während der Studiendauer in beiden untersuchten Gruppen ab, in der Placebogruppe im Mittel um 2.28 Punkte und in der Memantinegruppe um 0.53 Punkte. Die minimale Abnahme in der Memantinegruppe spricht für einen stabilisierenden Effekt des Memantine auf die kognitiven Funktionen bei Patienten mit vaskulärer Demenz. Wie die Autoren richtig bemerken, muss in speziell darauf ausgerichteten Studien gezeigt werden, ob es sich dabei um einen rein symptomatischen Behandlungseffekt handelt oder ob der beobachtete Nutzen durch neuroprotektive Eigenschaften des Memantine zu Stande kommt.
Besprechung von Dr. med. Susanne Beyersdorf, Freiburg i.Br
Int Clin Psychopharmacol 2002; 17:297-305 - G. Wilcock et al
17.02.2004 - dde