Erythropoese-stimulierende Substanzen bei anämischen Tumorpatienten
Verbesserung der Lebensqualität und der Tumortherapie im Blickfeld.
Titel
Control of cancer-related anemia with erythropoietic agents: a review of evidence for improved quality of life and clinical outcomes.
Autoren
Cella D; Dobrez D; Gaspy J.
Quelle
Annals of Oncology 14: 511-519, 2003
Abstract |
Fragestellung
Die Studie versucht zu klären, inwieweit Erythropoese-stimulierende Substanzen die Lebensqualität und den Tumortherapieerfolg bei anämischen Tumorpatienten verbessern.
Hintergrund
Tumorpatienten leiden oft unter Anämie. Die häufigsten Ursachen sind Knochenmarksinfiltration durch den Tumor/Metastasen, Tumorblutung, Malnutrition, verminderte Erythropoetinproduktion (z.B. durch platinhaltige Chemotherapien) und Knochenmarkssuppression durch Radio- oder Chemotherapie.
Es konnte gezeigt werden, dass der Grad der Anämie mit der Lebensqualität negativ korreliert, obwohl die Lebensqualität gerade bei Krebspatienten von weit mehr Faktoren abhängt. Unter all den zahlreichen klinischen Symptomen, die durch eine Anämie verursacht werden, wird die Müdigkeit als hauptsächlicher Grund für eine Verminderung der Lebensqualität angesehen.
Methoden
Studiendesign
Es handelt sich um keine neue Studie, sondern es werden alle bekannten Studien zu diesem Thema zusammengefasst (Review).
Einschlusskriterien
Eingeschlossen wurden alle Medline-erwähnten Studien zwischen 1990 und 2002, welche mit den Suchwörtern «cancer, anemia and quality of life» oder «cancer, hemoglobin, local control, impact and chemoradiation» gefunden wurden. Zudem wurden auch Abstracts von internationalen hämatologischen und onkologischen Kongressen zwischen 1990 und 2002 nach diesen Stichwörtern durchsucht. Für das Kriterium Krankheits-assoziierte Lebensqualität wurden nur prospektive Studien eingeschlossen. Da es zu wenige prospektive Studien hatte, um die Auswirkungen von Erythropoese-stimulierenden Substanzen auf den Tumortherapieerfolg zu untersuchen, wurden auch retrospektive Studien für diese Fragestellung miteinbezogen.
Intervention
In allen eingeschlossenen prospektiven Studien wurden Erythropoese-stimulierende Substanzen (Erythropoetin a und b, sowie Darbepoetin) über einen Zeitraum von 12 bis 24 Wochen verabreicht. Während und nach der festgelegten Behandlungsdauer wurde untersucht, inwieweit sich die Lebensqualität verändert hat. Bei den retrospektiven Studien wurde untersucht, ob die Radio- oder Chemotherapie nach Erythropoese-stimulierender Behandlung erfolgreicher bezüglich lokoregionaler Kontrolle und Überleben war oder nicht.
Resultate
1. Verbesserung der Lebensqualität nach Erythropoese-stimulierender Behandlung bei anämischen Tumorpatienten
Alle erwähnten Studien zeigen eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität in der Behandlungsgruppe. Die Verbesserung ist jedoch meist klein und geht einher mit einem Hb-Anstieg von 1.8-2.8 g/dl, was auch immer zu einer signifikanten Verminderung der Transfusionsrate führte. Die Wirkung dieser Substanzen war bei ambulanten und hospitalisierten Patienten sichtbar. Die Art des Tumors (solid oder nicht-solid) spielte keine Rolle. Es wird keine Studie zitiert, in der die einzelnen Substanzen (Erythropoetin a und b, sowie Darbepoetin a) miteinander verglichen werden.
2. Verbesserung des Tumortherapieerfolgs durch Erythropoese-stimulierende Substanzen
Diverse, vor allem retrospektive Studien zeigen, dass hauptsächlich die Radiotherapie bei erniedrigten Hb-Werten weniger effizient ist. Dies konnte vor allem für Tumore im ORL-Bereich, aber auch für Zervix-, Lungen- und Rektumtumore gezeigt werden.
Ob die Effizienz einer Chemotherapie vom Anämiegrad abhängt, ist zur Zeit noch unklar. Die bisherigen Studien zeigen unterschiedliche Daten, wobei in einzelnen Untersuchungen das Studiendesign recht mangelhaft war.
Das Überleben nach Tumorchirurgie in Abhängigkeit vom Hb-Wert wird ebenfalls diskutiert. Eine Studie (Chirurgie des Glottiskarzinom) zeigte eine signifikant schlechtere 5-Jahres-Überlebensrate bei anämischen Patienten. Auf der anderen Seite wurde aber auch gezeigt, dass Bluttransfusionen im Zusammenhang mit Tumorchirurgie einen negativen Effekt auf das Überleben haben.
Diskussion durch die Autoren
Anämische Krebspatienten werden in erster Linie mit Bluttransfusionen oder Erythropoese-stimulierenden Substanzen behandelt. Die Bluttransfusionen haben den Vorteil der raschen Wirksamkeit und der relativ tiefen Kosten. Andererseits sind sie aber mit Risiken wie Unverträglichkeitsreaktionen, Infektionen oder Hämolyse assoziiert. Hinzu kommt, dass sie bei Patienten nicht sehr beliebt sind. Erythropoese-stimulierende Substanzen hingegen wirken häufig nicht unmittelbar (Hb-Anstieg z.T. erst nach 12 Wochen sichtbar) und zudem nur in 50 bis 60% der Fälle. Die Kosteneffektivität für diese Substanz konnte bisher nicht belegt werden.
Die Autoren bemängeln, dass die tumorbedingte Anämie oft unterbehandelt sei. Nur ein Drittel aller Patienten in den USA mit einem Hb-Wert von < 10 g/dl würden mit Erythropoese-stimulierenden Substanzen behandelt. In Europa sei die Rate noch weit geringer.
Darbepoetin a, das jüngste Medikament dieser Substanzengruppe, wird speziell erwähnt, da es eine wesentlich längere Halbwertszeit hat und deshalb weniger häufig verabreicht werden muss.
Zusammenfassender Kommentar
Die verminderte Lebensqualität bei Tumorpatienten ist ein bekanntes Problem. Die anhaltende Müdigkeit und Abgeschlagenheit ist diesbezüglich ein wesentlicher, oft zu wenig beachteter Faktor. Falls eine Tumoranämie (Hb < 10-12 g/dl) vorhanden ist, sollte eine Behandlung entweder mit Ec-Transfusionen (billig, effizient, aber mit Risiken der Unverträglichkeit und verminderten Akzeptanz durch den Patienten verbunden) oder mit einer Erythropoese-stimulierenden Substanz (teurer, meist mit verminderter und verzögerter Ansprechrate, aber besserer Patientenakzeptanz verbunden) durchgeführt werden. Falls keine Anämie vorhanden ist, sollte zur Behandlung der Müdigkeit ein aerobes körperliches Training in Betracht gezogen werden.
Die Frage, inwieweit der Therapieerfolg bei anämischen Patienten durch Hb-Korrektur verbessert werden kann, ist spannend, aber noch ungeklärt. Bei der Radiotherapie scheint die Anämie eine besondere Rolle zu spielen. Klare Richtlinien diesbezüglich bestehen aber nicht.
Besprechung von Dr. med. Daniel Helbling, Labor für hämato-onkologische Forschung, Inselspital Bern.
Annals of Oncology 14: 511-519, 2003 - D. Cella et al
24.02.2004 - dde