Behandlung bei postmenopausaler Osteoporose
Eine vergleichende Analyse evidenzbasierter Medikamentenstudien.
Titel
A comprehensive review of treatments for postmenopausal osteoporosis.
Autoren
H.J. Häuselmann, R. Rizzoli.
Quelle
Osteoporos Int. (2003) 14: 2-12
Abstract |
Fragestellung
Ziel des vorliegenden Reviews war die vergleichende Beurteilung der Wirksamkeit verschiedener Medikamente zur Therapie der postmenopausalen Osteoporose bei Frauen mit niedriger Knochenmasse beziehungsweise mit bereits vorhandenen Wirbelfrakturen unter Kriterien einer auf Evidenz basierten Medizin.
Hintergrund
Die Inzidenz osteoporotischer Frakturen bei postmenopausalen Frauen nimmt mit zunehmendem Alter exponentiell zu. Die daraus entstehenden Folgen wie Pflegebedürftigkeit, Einschränkung der Lebensqualität und resultierende Kosten für die Gesundheitssysteme werden angesichts steigender Lebenserwartung der Bevölkerung viele Länder vor gravierende soziale und wirtschaftliche Probleme stellen. Schätzungen zufolge soll sich allein die Zahl der Hüftfrakturen innerhalb der nächsten 30 Jahre vervierfachen und bis zum Jahr 2050 6 Millionen Fälle pro Jahr überschreiten. Vor diesem Hintergrund scheint es unvermeidlich, die optimalen und effektivsten Strategien zur Prävention bzw. Therapie der Osteoporose zu selektieren.
Methoden
Die auf Evidenz basierende Medizin scheint einen objektiven Ansatz zur Lösung dieses klinischen Problems zu bieten. Konsistenten Ergebnissen einer gründlichen Metaanalyse kontrollierter und randomisierter Studien von hoher Qualität kommt - den Autoren gemäss - dabei der höchste Level an Evidenz zu. Neuere Medikamente haben nachweisbare Effekte auf die Knochenmineraldichte (BMD), den Knochenstoffwechsel (bone turnover) und Frakturen. Allerdings erfüllen die verfügbaren Substanzen die Kriterien einer auf Evidenz basierenden Medizin nicht alle auf gleichem Niveau. Daher haben die Autoren in dieser Arbeit versucht, die Evidenzlevels verschiedener Studien zu unterschiedlichen Medikamenten kritisch zu werten.
Ein- und Ausschlusskriterien
Für die vorliegende Übersicht wurde die Literatur systematisch nach randomisierten, placebokontrollierten Doppelblindstudien zur medikamentösen Behandlung der Osteoporose in Europa und Nordamerika durchsucht, bei denen vertebrale Frakturen oder die Hüftfraktur einen primären oder sekundären Endpunkt darstellten. Berücksichtigt wurden nur Studien, die als Einschlusskriterium eine niedrige Knochenmasse (definiert über eine BMD mit einem T-Score -2.0 SD) oder vorbestehende, morphometrisch bestimmte Wirbelfrakturen forderten. Insgesamt wurden von den Autoren 41 Studien zu 12 verschiedenen Medikamenten in diese Analyse eingeschlossen, nämlich: Alendronat, Alpha-Calcidol, Calcitonin, Calcitriol, Calcium alleine, Calcium und Vitamin D, Etidronat, Fluor, Hormonersatztherapie, Raloxifen, Risedronat und Vitamin D alleine. Ausgeschlossen wurden Studien, die nur in Form eines Abstracts vorlagen. Ebenso blieben Beobachtungsstudien sowie Studien an Männern bzw. Studien an Patienten mit sekundärer Osteoporose unberück-sichtigt.
Endpunkte
Untersucht wurden vor allem Änderungen der Knochenmineraldichte (BMD) und des Frakturrisikos. Über die Veränderungen der BMD berichteten die meisten Studien. 26 Studien (insgesamt 10 verschiedene Medikamente) erbrachten Daten zu neuen vertebralen Frakturen, 12 Studien (insgesamt 6 verschiedene Medikamente) zu Hüftfrakturen. Es wurden einmal die prozentualen Änderungen der BMD in der Gruppe der behandelten Patienten den prozentualen Änderungen der BMD in der Kontrollgruppe gegenübergestellt und einer statistischen Analyse unterworfen. Ausserdem wurde das relative Risiko (RR) für vertebrale Frakturen und für Hüftfrakturen statistisch ausgewertet, wobei die Methode der Cluster-Analyse verwendet wurde, um die Konsistenz zwischen den Studien zu bestimmen.
Resultate
Basisdaten
Mit Ausnahme von 3 Studien (Kombinationstherapie Calcium und Vitamin D bzw. Monotherapie mit Vitamin D), wo das Durchschnittsalter bereits über 80 Jahre betrug, rekrutierten alle Studien jüngere Patienten im Alter zwischen zirka 60 und 70 Jahren. Die Zahl der eingeschlossenen Patienten variierte in den untersuchten Studien beträchtlich zwischen 34 (Calcitriol) bis über 9’000 (Risedronat), ebenso der Zeitraum der Studien von 1 bis 4.3 Jahre und die so genannte Dropout-Rate, die von 4% (Alendronat) bis zu 80% (eine Studie mit Fluoriden) reichte. Auch die in den einzelnen Studien verwendeten morphometrischen Definitionen der Wirbelfraktur waren nicht gleich und differierten von 15% bis 20% Reduktion der ursprünglichen Wirbelkörperhöhe. Auch die Gesamtanzahl an Frakturen (Patienten mit wenigstens einer Fraktur) war in den einzelnen Studien sehr unterschiedlich und reichte von nur 10 (Alendronat, Calcium oder Fluor) bis maximal 358 (Raloxifen) Frakturen. Nur 2 der insgesamt 41 Studien hatten die Hüftfraktur als primären Endpunkt, die übrigen Studien hatten diese nur als sekundären Endpunkt, da die Zahl der eingeschlossenen Patienten die statistische Power hierfür nicht garantieren konnte. Die erhaltenen Ergebnisse für ein Medikament basieren zum Teil auf den Daten einer Studie, teilweise auch auf den Daten mehrerer Studien oder Substudien, wobei aus einigen Substudien auch Daten mit unterschiedlichen Dosierungen des jeweiligen Medikamentes in die Gesamtbetrachtung mit aufgenommen wurden (z.B. Alendronat 5 mg und 10 mg).
Gruppenvergleich der Endpunkte
- Knochenmineraldichte BMD
Die grössten Zunahmen der BMD an der LWS wurden unter Fluoriden beobachtet. Die nächst höchsten Zunahmen der BMD an der LWS zeigten Alendronat und Risedronat. Die höchsten Zunahmen der BMD am Schenkelhals zeigte Alendronat, gefolgt von Raloxifen. Die Daten in den einzelnen Studien und Substudien zeigten sich dabei überwiegend relativ konsistent. Die am wenigsten konsistenten Daten fanden sich, den Autoren zufolge, für Calcitriol an der LWS bzw. für Calcitonin am Schenkelhals.
- Morphometrische Wirbelfrakturen
Auch die Reduktion des vertebralen Frakturrisikos variierte zwischen den untersuchten Medikamenten. Alendronat, Raloxifen und Risedronat zeigten eine signifikante Reduktion des vertebralen Frakturrisikos im Vergleich zur Placebogruppe. Die in einer Studie mit «Calcium alleine» beobachtete Reduktion des vertebralen Frakturrisikos bezog sich nur auf die Analyse einer Subgruppe mit bereits vorhandenen Frakturen zu Beginn der Studie und niedriger alimentärer Calciumversorgung (< 500 mg pro Tag). Auch bei Calcitonin bezog sich die Risikoreduktion für vertebrale Frakturen nur auf eine Subgruppe mit der Dosierung 200 IU pro Tag.
- Hüftfrakturen
Eine signifikante Reduktion des Risikos für eine Hüftfraktur wurde unter Alendronat, der Kombination Calcium und Vitamin D sowie unter Risedronat beobachtet. Für Risedronat zeigte sich dieser Effekt nur, wenn die Daten der unterschiedlichen Dosierungen 2.5 mg und 5 mg pro Tag gepoolt wurden. Die Reduktion des Hüftfrakturrisikos für die Kombination Calcium und Vitamin D wurde an Frauen in Altersheimen mit Vitamin-D-Mangel gezeigt. Für Calcitonin, Fluor und Raloxifen konnte in den verwendeten Studien kein Effekt auf das Risiko einer Hüftfraktur nachgewiesen werden.
Diskussion durch die Autoren
Die Autoren betonen die Wichtigkeit der BMD als wichtigsten Indikator der so genannten «bone strenght» und auch als wichtigsten Prädiktor des Frakturrisikos. Änderungen der BMD seien ebenfalls von Wert für die Veränderung des Frakturrisikos unter Therapie. Für einige antiresorptive Substanzen sei die Abnahme der Frakturinzidenz vergleichbar dem Anstieg der BMD. Allerdings gelte das nicht für Fluoride, wo es trotz eines beträchtlichen Anstiegs der BMD nicht zu einer Änderung der Inzidenz von Frakturen kommt.
Eine Einschränkung in dieser Arbeit sehen die Autoren in der Definition der Fraktur. Während die klinische Diagnose für die Hüftfraktur evident ist, werden bei den vertebralen Frakturen neben den symptomatischen auch die nur radiographisch definierten Frakturen in die Analyse mit eingeschlossen, was aufgrund der in den einzelnen Studien nicht einheitlichen Definitionen nicht ganz unproblematisch zu sein scheint. Es wird ausserdem betont, dass statt der Gesamtzahl der Frakturen im jeweiligen Beobachtungsintervall, die Anzahl von Patienten mit Frakturen betrachtet wurde. Dies sei wichtig, da das Auftreten einer vertebralen Fraktur das Risiko für eine weitere Wirbelfraktur erheblich ansteigen lässt. Medikamente, die eine signifikante Reduktion des vertebralen Frakturrisikos bewirken sind Alendronat, Calcitonin, Raloxifen und Risedronat, wobei die Reduktion des Frakturrisikos in den untersuchten Studien von 35% (Raloxifen) bis 47% (Alendronat) in den jeweiligen Kollektiven variiert.
Die Reduktion der Hüftfrakturen war nur in 2 Studien primärer Endpunkt (Calcium und Vitamin D, Risedronat), in einer Studie wurden die Hüftfrakturen eingeschlossen. Alle anderen Studien hatten nur die vertebralen Frakturen und/oder Änderungen in der BMD als primären Endpunkt. Unter dem Aspekt dieser primären Endpunkte wurden überwiegend Patienten jüngeren Alters eingeschlossen, wo es naturgemäss zu weniger Hüftfrakturen kommt und damit nur eine geringere statistische Power zum Nachweis einer Verringerung der Inzidenz der Hüftfraktur besteht.
Es wird abschliessend betont, dass es sich bei dieser Analyse um keine klassische Metaanalyse handelt, sondern um eine Analyse nach Evidenzkriterien ausgewählter, randomisierter, kontrollierter Studien, mit dem Ziel, dem praktizierenden Arzt eine Hilfestellung bei der Auswahl der Therapie zu bieten.
Zusammenfassender Kommentar
Diese Analyse bestätigt die auch kürzlich vom DVO (Dachverband Osteologie Deutschland) verabschiedeten Empfehlungen in den Leitlinien Osteoporose, wo ebenfalls aufgrund evidenzbasierter Daten Empfehlungen zur Therapie der Osteoporose gegeben wurden. In diesen Leitlinien wurde nur denjenigen Medikamenten der Empfehlungsgrad A (höchste Evidenz) zugebilligt, für die entsprechende randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudien eine Wirkung auf die Frakturinzidenz nachgewiesen haben. Es handelt es sich dabei um Alendronat, Raloxifen, Risedronat und die Kombinationstherapie Calcium/Vitamin D. Für diese Substanzen wurde eine signifikante Reduktion des Risikos für vertebrale Frakturen bzw. Hüftfrakturen bei der postmenopausalen Osteoporose nachgewiesen. Insofern können diese Daten als Richtlinien zur Therapieempfehlungen aufgefasst werden, die sich vor allem an den niedergelassenen praktizierenden Arzt wenden. Diese Empfehlungen werden auch in dieser Analyse weitgehend bestätigt, allerdings wird hier das Calcitonin in der Dosierung 200 IU täglich. praktisch gleichwertig mit den übrigen oben erwähnten Substanzen genannt. Aufgrund der insgesamt weniger überzeugenden Daten im Vergleich zu den anderen erwähnten Medikamenten und des sehr hohen Preises, dürfte dem Calcitonin zur Behandlung der postmenopausalen Osteoporose in der Praxis aber kaum eine gleichwertige Bedeutung zukommen.
Wichtig scheinen mir auch die in der Diskussion von den Autoren gemachten Aussagen zum Hüftfrakturrisiko. Die Tatsache, dass aufgrund der Altersstruktur der in die jeweiligen Studien eingeschlossenen Patienten unter einigen Substanzen wie z.B. Raloxifen kein signifikanter Effekt auf die Inzidenz der Hüftfrakturen nachgewiesen wurde, ist sicher nicht gleichbedeutend mit der Tatsache, dass für diese Substanzen keinerlei Wirkung auf das Risiko von Hüftfrakturen besteht. Es ist ja auch unter dem Aspekt des gesunden Menschenverstandes (in Ergänzung zur evidenzbasierten Medizin) nicht anzunehmen, dass z.B. Raloxifen bei der Verteilung im Körper „einen grossen Bogen um den Oberschenkelhals macht“ und erst wieder ab dem Knie abwärts wirkt. Leider existieren aber bisher keine entsprechenden Daten für das Raloxifen bei hochbetagteren Patienten, so dass aufgrund der vorhandenen Daten Alendronat oder Risedronat in der Therapie dieser Patientengruppe mit hohem Hüftfrakturrisiko vorerst zu bevorzugen sind.
Nicht ganz überzeugend ist für mich der Schluss, dass die Zunahme der BMD mit der Reduktion der Frakturinzidenz korrespondiert. Zahlreiche andere Autoren vertreten eher die Meinung, dass die relativ geringen Zunahmen der BMD unter Alendronat, Calcitonin, Raloxifen oder Risedronat (die ja maximal 6 bis 7% in 3 Jahren an der LWS nicht übersteigen) eben nicht die ausgeprägte Frakturreduktion erklären können und die Erhaltung (oder Verbesserung) der Knochenqualität in erster Linie für die Fraktursenkung verantwortlich zu sein scheint.
Besprechung von Dr. med. Helmut Radspieler, Osteoporosezentrum München, Karlsplatz 4, 80335 München, Deutschland
Osteoporos Int. (2003) 14: 2-12 - H. J. Häuselmann et al
25.02.2004 - dde