Aspirin in der Sekundärprävention der kolorektalen Karzinome
Stellenwert trotz Reduktion von Adenomen nach wie vor unklar.
Titel
A randomized trial of aspirin to prevent colorectal adenomas in patients with previous colorectal cancer.
Autoren
Sandler RS, Halabi S, Baron JA, Budinger S, Paskett E, Keresztes R, Petrelli N, Pipas JM, Karp DD, Loprinzi CL, Steinbach G, Schilsky R.
Quelle
N Engl J Med 2003 Mar 6;348(10):883-90
Abstract |
Fragestellung
Kann die regelmässige Einnahme von Aspirin das Risiko für das Auftreten von kolorektalen Adenomen bei Patienten mit vorgängigen kolorektalen Karzinomen verringern?
Hintergrund
Experimentelle Studien an Tieren und Beobachtungsstudien an Menschen zeigten, dass regelmässige Medikation mit Aspirin und nichtsteroidalen Antirheumatika das Risiko für kolorektale Neoplasien vermindern kann. Dazu konnte in randomisierten Studien gezeigt werden, dass Sunlindac und Celecoxib die Zahl und Grösse von Adenomen in Patienten mit familiärer, adenomatöser Polyposis verminderten.
Da die Latenzzeit bis zur Entstehung von Karzinomen sehr lang ist, ist es schwierig in klinischen Studie zu zeigen, ob Aspirin eine präventive Wirkung auf kolorektale Karzinome hat. Da Karzinome aber meistens aus benignen Adenomen entstehen, werden häufig Adenome als Endpunkt in Präventionsstudien verwendet.
Die meisten Adenompräventionsstudien ergaben bisher unschlüssige Ergebnisse. Antioxidantien, alimentäre Fasern und Diät waren negativ, Kalzium zeigte eine gewisse schützende Wirkung. Die meisten Studien wurden mit Normalrisikopopulationen durchgeführt. In der vorliegenden Studie wird eine Population mit möglicherweise erhöhtem Risiko für Adenome untersucht, da die eingeschlossenen Patienten ein kolorektales Karzinom in ihrer Anamnese aufwiesen.
Methoden
Studiendesign
Randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Multizenterstudie.
Setting
719 Individuen wurden zunächst für eine initiale Periode rekrutiert und erhielten während 3 Monaten Aspirin, um die Compliance und Verträglichkeit zu prüfen.
Anschliessend wurden 635 Patienten randomisiert zu täglich 325 mg Aspirin oder Placebo. Kolonoskopiekontrollen wurden im Rahmen der üblichen Nachkontrolleuntersuchungen durchgeführt.
Einschlusskriterien
- Männer und Frauen, 30-80 Jahre alt, mit histologisch dokumentiertem, vollständig reseziertem Kolon- oder Rektumkarzinom mit niedrigem Rezidivrisiko.
- Patienten mit Stadium Duke’s A oder B1, die eine kurative Resektion hatten, konnten sofort eingeschlossen werden.
- Patienten mit Stadium Duke’s B2 oder C wurden erst eingeschlossen, wenn sie 5 Jahre nach der primären Behandlung immer noch in Remission waren.
- Alle erhielten eine Kolonoskopie mit Excision aller Polypen innerhalb 4 Monaten vor der Randomisierung.
Ausschlusskriterien
- Familiäre, adenomatöse Polyposis
- Verminderte Lebenserwartung wegen konkomittierenden Erkrankungen
- Zwingende Indikationen für Aspirin (z.B. kardiovaskulär oder zerebrovaskulär)
- Kontraindikationen für Aspirin
Primäre Endpunkte
Diagnose von Adenomen mittels Kolonoskopie.
Sekundäre Endpunkte
- Zeit bis zur Diagnose der Adenome
- Anzahl und Grösse der Adenome
Resultate
Nach einer medianen Beobachtungszeit von 30.9 Monaten für die Aspiringruppe und 31.6 Monaten für die Placebogruppe betrug die durchschnittliche Zahl der entdeckten Adenome in der Aspiringruppe mit 0.3 signifikant weniger als in der Placebogruppe mit 0.49 (p = 0.003).
Die Zahl der Patienten mit mindestens einem neu entdeckten Adenom war mit 17% deutlich tiefer in der Aspiringruppe als in der Placebogruppe mit 27% (p = 0.004). Die Studie wurde wegen diesen Resultate frühzeitig abgebrochen.
Hingegen unterschieden sich die beiden Gruppen weder in der medianen Grösse der Adenome noch in der Anzahl Patienten mit ausgedehnten (Ž 1 cm) Adenomen signifikant.
Diskussion durch die Autoren
Die tägliche Gabe von Aspirin 325 mg vermindert das Risiko der Entstehung von Adenomen bei Patienten mit kolorektalen Karzinomen in der Anamnese. Die Therapie mit Aspirin vermindert die Zahl und die Zeit bis zur Entstehung der Adenome. Laut Autoren ist diese Studie wichtig, weil sie den schützenden Effekt des Aspirins bei einer Population mit erhöhtem Risiko für sporadische kolorektale Karzinome zeigt. Die Dosis von 325 mg wurde arbiträr ausgewählt und es bleibt unklar, ob eine höhere oder tiefere Dosis bessere oder schlechtere Resultate hätte erzielen können. Trotz der klar schützenden Wirkung von Aspirin sind auch Adenome bei Patienten der Aspiringruppe aufgetreten. Somit kann die Therapie mit Aspirin die Nachkontrolle mittels Kolonoskopie nicht ersetzen.
Zusammenfassender Kommentar
Angesichts der erheblichen Morbidität und Mortalität der kolorektalen Karzinome ist die Suche nach möglichen Präventionsstrategien, sei es mit Screening oder mit Chemoprävention sehr wichtig. Frühere retro- und prospektive Studien zeigten eine Risikoreduktion für kolorektale Neoplasien zwischen 40-50% für Aspirin. Beweise für eine substantielle Reduktion der Inzidenz von kolorektalen Karzinomen fehlen allerdings bisher.
Die vorliegende Studie zeigt zwar, dass die Inzidenz von Adenomen reduziert werden kann, aber die Grösse der Adenome in beiden Gruppen und, insbesondere, der Anteil von fortgeschrittenen Adenomen (> 1 cm) unverändert blieb. Dies könnte bedeuten, dass Aspirin zwar die Entstehung von kolorektalen Karzinomen verlangsamen, aber nicht verhindern kann.
Die meisten Aspirinstudien zeigen, dass der positive Effekt von Aspirin nach Therapiestopp wieder verschwindet. Andererseits nimmt bekanntlich das kumulative Risiko für Nebenwirkungen zu, je länger die Aspirineinnahme dauert. Zudem ist nach wie vor unklar, wieviel die minimale noch wirksame Dosis beträgt. Somit kann zum jetzigen Zeitpunkt keine allgemeine Empfehlung für die sekundäre Chemoprävention mit Aspirin nach kolorektalen Karzinomen abgegeben werden.
Besprechung von Frau Dr. M. Rabaglio, Inselspital Bern.
N Engl J Med 2003 Mar 6;348(10):883-90 - R. S. Sandler et al
24.02.2004 - dde