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Prävention des Kolorektalen Karzinoms

«If you’re over 50, you know you need a colonoscopy»: Wenn Sie eine amerikanische Zeitschrift aufschlagen, ist es gut möglich, dass ihnen ein ganzseitiges Inserat mit dieser Botschaft in die Augen springt. «The question is which one», geht der Text weiter und da es sich um eine Anzeige des American College of Gastroenterology handelt, ist es auch keine Frage, welcher Methode bei der Wahl zwischen virtueller und konventioneller Kolonoskopie der Vorzug gegeben wird. Zum fünfzigsten Geburtstag - nach der Torte - eine Kolonoskopie für jeden? Als ich diese Forderung kürzlich einmal im Kollegenkreis äusserte, erntete ich doch bei einigen (nicht gastroenterologischen) Kollegen Erstaunen. In der Schweiz tun wir uns aus verschiedenen Gründen noch schwer mit einer Strategie, die andernorts als anerkannte Praxis gilt.

 

Das Kolorektale Karzinom ist der häufigste gastrointestinale Tumor und bildet in der Schweiz die dritthäufigste Ursache von Krebstodesfällen. Über 3’700 Kolorektale Karzinome werden in unserem Land jedes Jahr neu entdeckt. Das Erkrankungsrisiko ist bei Männern etwas höher als bei Frauen und liegt bei 6.0 bzw. 4.5 Prozent [1]. Ein Kolorektales Karzinom entwickelt sich allerdings sehr selten vor dem fünfzigsten Lebensjahr, daher die magische Schwelle, danach steigt die Inzidenz jedoch stark an und verdoppelt sich rund alle 7 Jahre [2].

 

Heredität

Die Ätiologie des Dickdarmkrebses ist vielfältig. Genetische Prädisposition kann eine Rolle spielen, doch stellen eindeutig identifizierte hereditäre Syndrome eine absolute Minderheit bei den Ursachen dar (siehe Abbildung 1). Unter den hereditären Ursachen haben Patienten mit einem Familial adenomatous polyposis (FAP)-Syndrom ein annähernd hundertprozentiges Risiko, im Laufe ihres Lebens ein Karzinom zu entwickeln. Zudem tritt bei diesen Patienten die maligne Entartung häufig schon in einem früheren Lebensabschnitt auf, weshalb eine engmaschige, regelmässige endoskopische Kontrolle schon in der Jugendzeit indiziert ist. Patienten mit einem Hereditary nonpolyposis colorectal cancer (HNPCC) –Syndrom haben mit rund 80% zwar ein etwas tieferes Erkrankungsrisiko für das Kolorektale Karzinom, zusätzlich jedoch noch für maligne Veränderungen des weiblichen Genitaltraktes, der Nieren, des Dünndarms, sowie von Gallenwegen und Pankreas.

 

Pathogenese

Die Pathogenese des Kolonkarzinoms wird grundsätzlich in zwei Stadien eingeteilt: Einmal die Entstehung eines Adenoms (Tumorinitiation) und danach die Entwicklung des Adenoms zum Karzinom (Tumorpromotion). Man geht heute davon aus, dass zur Adenomentstehung ein initialer Funktionsverlust des APC-Gens verantwortlich ist, während zur malignen Entartung eine fehlende Funktion von DNA-mismatch-repair-Genen gehört. Die beiden genannten hereditären Syndrome stellen Extrembeispiele dieser molekularen Entwicklungsketten dar. Beim FAP-Syndrom ist ein Allel des APC-Gens mutiert. Bei einer zusätzlichen somatischen Mutation des zweiten Allels tritt somit sehr viel häufiger und früher die Entwicklung eines Adenoms ein, als bei der übrigen Bevölkerung, bei der zwei somatische Mutationen viel seltener und später, eben erst in der zweiten Lebenshälfte, eintreten. Beim HNPCC kann als Folge des hereditären Enzymdefekts das molekulare Phänomen einer so genannten Mikrosatelliteninstabilität beobachtet werden. Reparaturvorgänge bleiben aus und schon aus kleinen Polypen entwickeln sich in kurzer Zeit Karzinome, während bei anderen Patienten die Entwicklung vom Adenom zum Karzinom eine grössere Latenzzeit aufweist. Das vertiefte Verständnis dieser Adenom-Karzinom-Sequenz hat sowohl wesentliche Einsichten in die Entstehung und Entwicklung maligner Tumoren, als auch in die Möglichkeiten von deren Prävention gebracht [3].

 

Aus folgender Abbildung geht deutlich hervor, dass es sich bei der überwiegenden Mehrheit der Kolonkarzinome um so genannte sporadische Tumoren handelt, also solche, die unabhängig von einem umschriebenen Syndrom auftreten.

 

Aetiologie des Kolonkarzinoms

 

Dennoch zeigt sich, dass auch bei dieser Gruppe der sporadischen Karzinome die Familienanamnese eine Rolle spielt: Während im Durchschnitt eine von 16 Personen das Risiko hat, an einem Karzinom zu erkranken, steigt dieses bei der Erkrankung von 1 direkten Angehörigen um das 2- bis 3-fache und bei 2 direkten Angehörigen um das 3- bis 4-fache an. In etwa der gleichen Grössenordnung (5- bis 15-fach) ist auch das Karzinomrisiko bei Patienten mit einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung erhöht. Drei einfache Fragen sollten daher bei jeder Patientin und jedem Patienten für die grobe Evaluation des Karzinomrisikos gestellt werden:

  • Kolonkarzinom oder Polyp in persönlicher Anamnese?
  • Prädisponierende Erkrankung? z.B. Colitis ulcerosa?
  • Familienanamnese: Kolonkarzinom oder Polypen?
    - Wieviele?
    - Verwandte ersten Grades?
    - Alter bei Diagnose?

 

Screening

Um das Selbstverständliche klar vorweg zu nehmen: Jeder symptomatische Patient (Blut im Stuhl, Veränderung der Stuhlgewohnheiten, ungeklärter Gewichtsverlust, unklare Eisenmangelanämie, neu aufgetretene Abdominalbeschwerden beim älteren Patienten) bedarf keines Screenings, sondern einer individuellen Abklärung. Asymptomatische Patienten sind nach ihrer Familienanamnese zu beurteilen: Bei Hinweisen für ein HNPCC- oder FAP-Syndrom ist eine spezifische Abklärung und Überwachung durchzuführen. Bei den anderen Patienten mit einer positiven Familienanamnese empfehlen amerikanische Guidelines, den Beginn des Screenings vorzuschieben, um mindestens 10 Jahre vor das Alter des Verwandten bei Diagnosestellung, denn Ziel jedes Screenings ist die Entdeckung einer Erkrankung oder ihrer Vorläufer in einem asymptomatischen Stadium [4].

 

Welches ist nun die richtige Screeningstrategie? Die Eckpunkte einer Evaluation sind klar gegeben: Es muss ein relevantes Gesundheitsproblem zugrunde liegen, eine therapeutische Intervention sollte möglich sein, die Krankheit sollte ein langes symptomfreies Intervall haben, die Screeningmethode muss verlässlich und für die Bevölkerung akzeptabel, und Aufwand und Kosten vertretbar sein.

 

Für das Kolorektale Karzinom wurden verschiedene Screeningstrategien empfohlen, die in ihrer klinischen Evidenz unterschiedlich belegt sind: Der jährliche Hämokkult-Test, flexible Sigmoidoskopie alle 5 Jahre, radiologische Verfahren und letztlich die Koloskopie alle 10 Jahre.

 

Die höchste wissenschaftliche Evidenz hat erstaunlicherweise der Nachweis von okkultem Blut im Stuhl, der Hämokkult-Test, da zu diesem randomisierte kontrollierte Studien vorliegen. Nach diesen ist der jährlich durchgeführte Hämokkult-Test dem zweijährlichen Test deutlich überlegen und führt nach 18 Jahren zu einer Reduktion der Mortalität des kolorektalen Karzinoms um bis zu 33% [5]. Allerdings bedingt dies eine konsequente jährliche korrekte Durchführung des Tests (2 Proben von unterschiedlichen Stuhlgängen, Nahrungsumstellung: kein rotes Fleisch, Wassermelonen, Broccoli, Meerrettich, Radieschen) und eine ebenso konsequente Abklärung jedes positiven Ergebnisses. Andererseits ist eine blosse Reduktion der Mortalität bei einem grundsätzlich verhinderbaren Tumor kein optimales Resultat. Der Hämokkult ist zwar einfach zu handhaben und kostengünstig, aber er hat auch seine Schwachpunkte: eine ungenügende Sensitivität für Karzinome, eine schlechte Sensitivität für Adenome, viele falsch-positive Resultate bei tiefer Prävalenz, eine falsche Sicherheit bei negativem Resultat und häufig eine ungenügende Compliance über die Zeit. Viel versprechender könnten hier genetische Tests werden, die sich zurzeit noch in der Entwicklung oder Einführung befinden.

 

Die Screeningstrategie mittels Sigmoidoskopie beruht auf der Beobachtung, dass rund 70% der malignen Veränderungen im distalen Viertel des Kolons auftreten, doch bleibt diese Beschränkung auf einen Teil des Organs letztlich unsinnig. Es ist längst gezeigt worden, dass sich maligne Neoplasien im rechten Hemikolon unabhängig von Veränderungen im Rektosigmoid entwickeln und diese Form der Intervention somit immer eine «halbe Sache» bleibt [6]. Die Methode, deren Evidenz auf Case-control-Studien beruht, hat sich in Europa nicht durchgesetzt.

 

Radiologische Verfahren sind der Barium-Doppelkontrast, der heute durch die CT-Kolonoskopie (virtuelle Kolonoskopie) abgelöst wurde. Die letztere Methode wurde in den vergangenen Jahren mit dem Fortschritt der CT-Technologie ausserordentlich verfeinert und liefert eine gute Ausbeute für Adenome einer relevanten Grösse von 5 bis 10 mm. Die grundsätzliche Akzeptanz der Untersuchung ist bei den Patienten sehr gut [7]. Allerdings hat sie zum Nachteil, dass eine histologische Differenzierung und eine Therapie allfälliger Befunde nicht möglich sind, die Patienten jedoch die gleichen unangenehmen Vorbereitungen wie für eine Kolonoskopie über sich ergehen lassen müssen. Die Volumenfüllung des Darmes kann Schmerzen bereiten und letztlich bleibt eine (für eine Screeningmethode) relevante Strahlenbelastung.

 

Zum jetzigen Zeitpunkt stellt die Kolonoskopie die effektivste Präventionsmassnahme dar. Sie bezieht ihre indirekte Evidenz aus den Daten der grossen amerikanischen National Polyp Study, in der die Inzidenz Kolorektaler Karzinome bei kolonoskopierten Patienten mit der errechneten Zahl, die aufgrund historischer Daten zu erwarten gewesen wäre, verglichen wurde [8]. Die Morbidität und Mortalität wird demnach durch die Kolonoskopie um bis zu 80% gesenkt. Allerdings bleiben auch bei dieser Screeningmethode einige Fragen offen: So ist die Kolonoskopie nicht ohne Komplikationsrisiko und kann, insbesondere wenn sie ohne Sedation durchgeführt wird, als unangenehm empfunden werden. Die Akzeptanz dieser Methode ist in Staaten, in denen sie bereits als Screening anerkannt ist, nach wie vor zu gering, etwa im Vergleich zur Mammographie und zum Pap-Test. Nach wie vor ungeklärt ist in der Schweiz die Frage der Finanzierung, obgleich die Kosteneffizienz den Vergleich mit anderen Screeningmethoden, wie etwa der Mammographie, nicht zu scheuen braucht. Nicht genug kann darauf hingewiesen werden, dass die Screeningkolonoskopie das Kolonkarzinom nicht nur in einem Frühstadium, sondern bereits in einer Vorstufe erfassen und mit der Polypektomie eine adäquate Prävention leisten kann [9].

 

Wie kann es in Zukunft möglich werden, ein breites Massenscreening durchzuführen? Derzeit findet sich eine Reihe von interessanten Ansätzen. Neben den bereits erwähnten genetischen Stuhltests sind es vor allem Neuerungen der Endoskopie, die dieser Methode eine breitere Anwendung erlauben sollten. So steht im europäischen Raum die Videokapselkolonoskopie vor der Markteinführung, also eine Videokamera in Pillenform, die passiv durch den Dickdarm transportiert, Videoaufnahmen von der Schleimhaut macht. Noch interessanter ist jedoch das im Prototyp bestehende automatische Einmalkolonoskop, das sich und seiner Kamera, ganz ohne fremde Hilfe, selbständig den Weg bis ins Zoekum und wieder zurück sucht und damit die Screeninginspektion des Dickdarms in jeder Praxis möglich macht. Falls sich solche Methoden in einem attraktiven Preissegment verwirklichen lassen, könnte ein wichtiger Beitrag zur Prävention eines relevanten Gesundheitsproblems geleistet werden.


PD Dr. med. Ludwig T. Heuss, Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie, Universitätsspital Basel


Referenzen

1. Nationales Krebsprogramm für die Schweiz 2005-2010.
2. Jemal A. et al. Cancer statistics, 2004. CA Cancer J Clin. 2004;54:8-29.
3. Vogelstein B. et al. Genetic alterations during colorectal-tumor development. N Engl J Med. 1988;319:525-532.
4. Winawer S et al. Colorectal cancer screening and surveillance: clinical guidelines and rationale-Update based on new evidence. Gastroenterology 2003;124:544-60.
5. Mandel JS et al. The effect of fecal occult-blood screening on the incidence of colorectal cancer. N Engl J Med. 2000 Nov 30;343(22):1603-7.
6. Imperiale TFet al. Risk of advanced proximal neoplasms in asymptomatic adults according to the distal colorectal findings. N Engl J Med. 2000 Jul 20;343(3):169-74.
7. Pickhardt PJ et al. Computed tomographic virtual colonoscopy to screen for colorectal neoplasia in asymptomatic adults. N Engl J Med. 2003;349:2191-200.
8. Winawer SJ et al. Randomized comparison of surveillance intervals after colonoscopic removal of newly diagnosed adenomatous polyps. The National Polyp Study Workgroup. N Engl J Med. 1993 Apr 1;328(13):901-6.
9. Marbet U. et al. Das Kolonkarzinom kann dank Screening verhütet werden. Schweiz Med Forum 2003;3:56-63.

 

 
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16.11.2006 - dde
 



 
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