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Kapselendoskopie 2006

Diagnostischer Stellenwert beim M. Crohn

 

Diagnose und Abklärung

Lange Zeit wurde der Dünndarm als sog. «Black box» angesehen, da die diagnostischen Möglichkeiten mit den damals vorliegenden Untersuchungsverfahren unbefriedigend waren. Durch Röntgenuntersuchungen (Enteroklysma, CT, MRI) konnte nur eine indirekte Darstellung erreicht werden; die direkten Untersuchungsmethoden waren aufwändig und entweder unvollständig (Push-Enteroskopie) oder sehr invasiv (intraoperative Enteroskopie). Vor diesem Hintergrund wurde in den frühen 90er-Jahren die Idee zur Kapselendoskopie geboren und umgesetzt, so dass gegen Ende des letzten Jahrtausends die ersten Untersuchungen durchgeführt werden konnten. Bereits im August 2000 erfolgte die Genehmigung durch die amerikanische Behörde FDA. Die Kapselendoskopie ist mittlerweile als wichtiges diagnostisches Verfahren bei gastrointestinalen Blutungen unklarer Lokalisation nach unauffälliger Gastroskopie und Koloskopie anerkannt. Wo liegt aber nur der Stellwert in der Diagnostik anderer gastrointestinaler Erkrankungen? Im Folgenden wird die Kapselendoskopie-Methodik kurz erläutert und dann auf den Stellenwert vor allem beim M. Crohn eingegangen.

 

Methodik

Die Videokapsel ist eine miniaturisierte Videokamera, die 11 × 26 mm misst:

 

PillCam®

 

Seit 2004 wird die Kamera von der Herstellerfirma PillCam® genannt. Diese enthält eine Linse, eine Beleuchtungseinheit, eine CMOS-Kamera sowie Batterien und eine Antenne:

 

Inhalt PillCam®

 

Die Kapsel wird nach dem Schlucken durch die Dünndarmperistaltik passiv durch den Verdauungstrakt befördert. Während dieses Weges nimmt sie Bilder mit einer Frequenz von 2 Aufnahmen pro Sekunde von Ösophagus, Magen, Duodenum, Jejunum und Ileum auf. Die Kapsel besitzt eine Geradeaus-Optik, die mit einem Sichtwinkel von 140 Grad übersichtliche Bilder aufnimmt. Die in die Kapsel eingebaute Batterie erlaubt eine Funktionszeit von 6–9 Stunden während der zirka 60’000 Bilder aufgenommen werden, die mit Radiofrequenz via auf der Bauchhaut angebrachten Elektroden an einen externen Datenrekorder übertragen werden. Dieser Rekorder kann an eine Arbeitsstation angeschlossen werden, um die Daten für die Auswertung zu übertragen. Software-unterstützt werden die Bilder zu einem Film zusammengesetzt, der mit einem Zeitaufwand von zirka 1–2 h visuell analysiert wird.

 

Normaler Dünndarm

 

Eine als SBI («Suspected Blood Indicator») bezeichnete Funktion wird in der Auswertungssoftware angeboten, um die Suche von potentiellen Blutungsquellen rascher durchführen zu können. Bei etwa 80% der Untersuchungen erreicht die Kapsel während der Aufzeichnungszeit das Kolon, so dass der gesamte Dünndarm beurteilt werden kann. In einem Drittel der Fälle ist die Untersuchung durch trüben Darminhalt beeinträchtigt. Die Kapsel selbst wird auf natürlichem Weg mit dem Stuhl ausgeschieden. In den meisten Fällen geschieht dies innerhalb der ersten 3 Tage nach der Untersuchung.

 

Für die Untersuchung ist neben einer vorhergehenden Fastenperiode manchmal eine minimale Darmlavage nötig.

 

Komplikationen

Komplikationen sind bei Kapselendoskopien sehr selten. Die wichtigste Komplikation ist das Steckenbleiben der Kapsel im Gastrointestinaltrakt, das bei weniger als 0.5% der Untersuchungen beschrieben wird. Die Patienten sind in der Regel trotz nicht ausgeschiedener Kapsel beschwerdefrei, aber nach einiger Zeit muss die operative Entfernung überlegt werden. Gefahr für die Patienten durch Auflösen der Kapsel oder Austritt schädlicher Substanzen besteht jedoch auch für mehrere Wochen bis Monate nicht. Bei Patienten mit einem möglichen Risiko wird deshalb empfohlen, mit den konventionellen radiologischen Verfahren eine relevante Stenose zunächst auszuschliessen. Bleiben weiterhin Bedenken, kann durch eine neue Entwicklung, die sog. «Patency Capsule» die Passage einer Kapsel vor der eigentlichen Untersuchung evaluiert werden. Dabei handelt es sich um eine Kapsel ohne Kamera in exakt gleicher Größe, die sich jedoch bei längerer Verweildauer im Darm auflöst. Wenn diese Kapsel den Darm problemlos und intakt passiert, kann die Kamerakapsel gefahrlos eingesetzt werden.

 

Falls Patienten wegen Schluckstörungen die Kapsel nicht schlucken können, lässt sich die Untersuchung durch endoskopische Platzierung dennoch erfolgreich durchführen.

 

Bei Patienten mit Herzschrittmachern besteht laut FDA-Zulassung eine Kontraindikation, obwohl kein einziger Bericht über relevante elektrische Interaktionen publiziert wurde. Über Untersuchungen in der Schwangerschaft liegen keine genügenden Daten vor. Die Kapselendoskopie ist bei Kindern problemlos durchführbar. Divertikel stellen im Allgemeinen kein Problem dar, mit Ausnahme des Zenker-Divertikels.

 

Indikationen und Ergebnisse

Die Kapselendoskopie ist derzeit nur zur Untersuchung des Dünndarms sinnvoll und kann weder die Gastroskopie noch die Koloskopie ersetzen. Durch Studien am besten belegt ist die Hauptindikation für unklare Blutungen aus dem Dünndarm. Die Kapsel liefert hier eine Diagnose von Dünndarmläsionen in 40-80%.

 

Blutende Erosion

 

Das Management der Patienten wird durch einen positiven Befund in der Kapselendoskopie doch in 25-50% geändert. Zunehmend wird auch die Nützlichkeit der Kapselendoskopie bei Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen diskutiert. Besonders in der Differentialdiagnose bei unklarer Kolitis oder bei M. Crohn mit Dünndarmbefall könnte die Kapselendoskopie in einzelnen Fällen wichtige Befunde liefern. Alle weiteren Indikationen sind derzeit für die klinische Routine noch weit davon entfernt, etabliert zu sein. 

 

Stellenwert der Untersuchung bei M. Crohn

Über die vergangenen Jahrzehnte wurde die Endoskopie ein nicht mehr wegzudenkendes Instrument in der Diagnose und Behandlung chronisch entzündlicher Darmkrankheiten. Im Gegensatz zur Colitis ulzerosa ist aber der Zugang zum Zielorgan bei Patienten mit M. Crohn nicht einfach. Segmente des proximalen Anteils des Dünndarms, die für das Endoskop nicht zu erreichen sind, können involviert sein. Eine zunehmende Zahl von Studien untersuchte die Wertigkeit der Kapselendoskopie im Vergleich zu den anderen etablierten diagnostischen Verfahren.

 

Eines der grössten Probleme bei der Kapselendoskopie ist die Unmöglichkeit, die festgestellten Läsionen pathologisch mittels Biopsie zu verifizieren. Die verschiedensten Untersuchungen verwenden keine etablierten Kriterien, um tatsächlich einen M. Crohn diagnostizieren zu können. Ohne sog. Goldstandard der histologischen Diagnose ist die Spezifität der bei der Kapselendoskopie festgestellten Läsionen unklar. Leider wurden in vielen der massgebenden Studien Patienten, die nichtsteroidale Antirheumatika (= NSAR) einnahmen, nicht ausgeschlossen. Möglicherweise litten also einige Patienten nicht an einem M. Crohn, sondern an einer NSAR-assoziierten Enteropathie (Abbildung 5). Zudem wurde in Untersuchungen zu Mukosaläsionen des Dünndarms bei den gesunden Kontrollgruppen in zirka 10-20% ein pathologischer Befund (Petechien, Erosionen etc.) gefunden, der vielleicht bei anderer Indikation als krankhaft gewertet worden wäre. Man kann derzeit nur spekulieren, ob es solche Läsionen ohne Krankheitswert in der Normalbevölkerung gibt. Dies erklärt auch die Zurückhaltung bei der Indikationsstellung zur Kapselendoskopie bei Patienten mit unspezifischen abdominellen Beschwerden. Die Bedeutung von vereinzelten Mukosaläsionen zur Diagnose des M. Crohn ist momentan noch unklar und möglicherweise recht niedrig.

 

Kleine Erosionen bei bekanntem M. Crohn

 

Werden die publizierten Daten als Metaanalyse aufgearbeitet, zeigt sich nicht überraschend bei der Kapselendoskopie meist eine höhere Sensitivität in der Darstellung von Mukosaläsionen als bei anderen technischen Verfahren. Zirka 40% mehr Befunde als durch eine konventionelle Barium-Röntgenuntersuchung, eine CT-Enterographie oder eine Push-Enteroskopie werden durch die Kapselendoskopie entdeckt. Auch im Vergleich zur Ileokoloskopie werden immer noch 15% mehr Befunde und diagnostische Erkenntnisse gewonnen.

 

In den Studien mussten die Patienten ganz spezifische Einschlusskriterien erfüllen und wurden beim Vorliegen von Strikturen ausgeschlossen. Inwieweit sich nun diese Resultate in die klinische Praxis umsetzen lassen, ist noch unklar.

 

Im klinischen Alltag sieht man sich auch beim M. Crohn 2 Patientengruppen gegenüber: denjenigen mit vermuteter und denjenigen mit bekannter Erkrankung. Wenn nun lediglich die Patienten mit vermutetem M. Crohn analysiert werden, finden sich interessanterweise in den Studien keine signifikanten Unterschiede mehr in der diagnostischen Wertigkeit der verschiedensten Untersuchungsmodalitäten. Ganz anders ist es bei etabliertem M. Crohn: Hier ist die Kapselendoskopie deutlich besser als alle anderen Verfahren. Es ist natürlich gut möglich, dass dieses Phänomen rein statischer Natur ist, mit ungenügender Zahl von Patienten in den analysierten Subgruppen. Auf der anderen Seite könnte dies doch auf die Schwierigkeiten der diagnostischen Bedeutung von Mukosaläsionen bei Patienten mit Abdominalschmerzen hindeuten. Sicher sind hier weitere Studien abzuwarten.

 

Wie sieht es nun aus bei Patienten mit bekanntem M. Crohn, die operiert wurden? Auch hier sind die Daten noch unklar. Obwohl eine europäische Studie die Überlegenheit der Kapselendoskopie gegenüber allen anderen etablierten Verfahren im Nachweis eines Rezidivs zeigte, findet sich eine zweite Studie, die dies wieder relativiert. Die Kapselendoskopie unterschätzte hier den Schweregrad der Läsionen im neoterminalen Ileum gegenüber der Koloskopie.

 

Eine der Hauptbefürchtungen, die Kapselendoskopie beim M. Crohn einzusetzen, ist die Angst, dass die Kapsel wegen einer Striktur retiniert wird. Vergleicht man aber die Zahl der Retentionen mit denjenigen von Untersuchungen anderer Indikationen (zum Beispiel Blutungen) finden sich gleich geringe Zahlen.

 

Zusammenfassend wird die Kapselendoskopie in naher Zukunft sicher eine wichtige Rolle in der Abklärung und Therapie beim M. Crohn spielen und dürfte wegen der fehlenden Strahlenbelastung und der direkten Visualisierung von Veränderungen den radiologischen Untersuchungsverfahren vorgezogen werden. Wahrscheinlich wird die Kapselendoskopie hier in der frühen Diagnose und in der Bestimmung der Ausdehnung entzündlicher Veränderungen eingesetzt werden. Auch bei Verlaufskontrollen und dem Entscheid über weitere Therapien dürfte diesem Verfahren eine zunehmende Bedeutung zukommen. Momentan ist aber der Einsatz ausserhalb von Studien doch nur in sorgfältig ausgewählten Fällen sinnvoll. Die Kapselendoskopie ist aber auch hier ein weiteres wichtiges diagnostisches Instrument im Armentarium des Gastroenterologen.

 

PD. Dr. med. Lukas Degen, Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie, Universitätsspital Basel

 

 
Medizinspektrum
 
15.11.2006 - dde
 



 
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