Neues aus der Hypertonie
Hypertonie im Alter
Im Verlauf der letzten 150 Jahre hat sich die Lebenserwartung in Industrieländern verdoppelt, so dass im Jahr 2003 Männer im Durchschnitt 78 Jahre und Frauen 83 Jahre alt wurden. Die Häufigkeit der arteriellen Hypertonie nimmt mit dem Alter zu und erreicht in der Altersgruppe der 60- bis 80-Jährigen eine Häufigkeit von über 50%. Studien konnten zeigen, dass nur ein geringer Teil der Blutdruckanstiege im Alter als physiologisch anzusehen ist und widerlegen die Hypothese einer «Bedarfshypertonie». Dieser Anstieg ist vor allem auf die Abnahme der Elastizität der Blutgefässe zurückzuführen. Die arterielle Hypertonie stellt einen wesentlichen kardiovaskulären Risikofaktor dar, da bereits ein Anstieg des Blutdrucks von 10 mmHg die kardiovaskuläre Mortalität erhöht. Somit ist die Indikation zur Blutdruckbehandlung auch bei Patienten >65 Jahre gegeben und notwendig, egal ob sie an einer isolierten systolischen Hypertonie oder an einer gemischt systolisch-diastolischen Hypertonie leiden. Der Grad der Wahrnehmung, der Behandlung und der Blutdruckkontrolle (Erreichen der Zielwerte von <140/90 mmHg) hat in den letzten 30 Jahren erfreulicherweise deutlich zugenommen. Dies spiegelt sich auch in der signifikanten Abnahme der Sterblichkeit durch Schlaganfälle und Koronaren Herzkrankheit wider.
Allerdings bleibt der Grad der Blutdruckkontrolle weiterhin unbefriedigend. So liegt in den USA die Rate der adäquat behandelten Patienten bei Männern um 38% (<60 Jahre 38%, bei Frauen unter 60 Jahren auch bei 38%, fällt aber in der Gruppe der >80-jährigen Frauen auf 23% ab). In Europa liegt der Prozentsatz der Patienten, die Blutdruckwerte von <140/90 mmHg erreichen, bei ca. 10% ohne wesentliche Unterschiede in den verschiedenen Altersgruppen (Abbildung 2).
Dabei ist gerade die Gruppe der älteren Patienten (>75 Jahre) angesichts der Zunahme der durchschnittlichen Lebenserwartung und einer Verbesserung der Lebensqualität von besonderem Interesse. Ältere Patienten mit arterieller Hypertonie müssen als Risikopatienten angesehen werden und dementsprechend auch behandelt werden. Die bisherigen Studien zeigen eine Behandlungsindikation bei systolischen Blutdruckwerten über 160 mmHg, wobei die aktuellen Hypertonie-Richtlinien Grenzwerte von 140/90 mmHg fordern.
Leider sind die zur Verfügung stehenden Daten über die Auswirkungen einer antihypertensiven Therapie in diesem Alter nicht eindeutig. In der Tat konnte in verschiedenen placebokontrollierten Studien eine Verminderung des Auftretens von Herzinfarkten, Schlaganfällen und Herzinsuffizienz auch im Alter belegt werden, allerdings ohne eine Reduktion der Mortalität. Einzelstudien und eine Meta-Analyse zeigten hingegen eine Abnahme der Mortalität unter antihypertensiver Therapie. Interessanterweise hat nun eine grosse Studie zur Beantwortung dieser Unklarheiten begonnen. Die HYVET-Studie (Hypertension in the Very Elderly Trial) untersucht den Nutzen und die Risiken einer antihypertensiven Behandlung (Indapamid und Perindopril) bei Patienten im Alter von 80 Jahren oder älter mit Blutdruckwerten 160-199 mmHg systolisch und <110 mmHg diastolisch. Die Patienten werden initial mit Indapamid und zusätzlich 2-4 mg Perindopril behandelt zum Erreichen von Blutdruckwerten von <150/80 mmHg. Die ersten Ergebnisse dieser randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studie werden erst in mehreren Jahren vorliegen.
Therapie der Hypertonie im Alter
Therapeutisch muss in den meisten Fällen eine Kochsalzrestriktion und Gewichtsreduktion durch adäquate medikamentöse Therapie ergänzt werden, um eine effektive Blutdruckkontrolle zu erzielen. Hier finden vor allem Diuretika, Kalzium-Antagonisten, ACE-Hemmer und Angiotensin-Rezeptor-Blocker sowie gegebenenfalls Nitrate und Beta-Blocker Verwendung. Ältere Studien konnten einen klaren Benefit einer antihypertensiven Therapie gegenüber Placebo oder unbehandelten Patienten zeigen. Dies gilt vor allem für mobile Menschen, während bei multimorbiden oder bettlägerigen Patienten Vorsicht geboten ist. Neuere Studien (STOP-2, ALLHAT, LIFE, SCOPE) haben die Effektivität verschiedener Substanzklassen (Kalziumantagonist, ACE-Hemmer, Angiotensin-Rezeptor-Blocker, Diuretika, Beta-Blocker) bezüglich des Auftretens kardiovaskulärer Ereignisse verglichen. Während STOP-2 und ALLHAT keinen Unterschied für Kalziumantagonisten, ACE-Hemmer, Diuretikum und Beta-Blocker zeigten, war in der LIFE-Studie ein Angiotensin-Rezeptor-Blocker effektiver als ein Beta-Blocker in der Reduktion der linksventrikulären Hypertrophie und von kardiovaskulären Ereignissen, vor allem von Schlaganfällen.
Die Rolle der Beta-Blocker in der Therapie der isolierten, unkomplizierten Hypertonie ist derzeit sehr umstritten. So hat die Britische Hypertonie-Gesellschaft die Beta-Blocker als Mittel der 1. Wahl gestrichen. Diese Entscheidung basiert vor allem auf der Auswertung verschiedener randomisierter Studien. Diese zeigten, dass Beta-Blocker (die meisten Studien mit Atenolol) im Vergleich zu anderen Antihypertonika weniger in der Lage sind die Rate von Schlaganfällen zu senken. Aber auch wenn Atenolol-Studien aus der Berechnung ausgeschlossen werden, ist die Evidenz für Beta-Blocker deutlich schwächer als für andere blutdrucksenkende Medikamente.
Der Beginn einer antihypertensiven Therapie im Alter sollte entsprechend den allgemeinen Richtlinien erfolgen. Generell gilt, möglichst niedrig dosiert zu beginnen und nur langsam die Dosis zu steigern. Da viele ältere Patienten zusätzliche kardiovaskuläre Risikofaktoren oder Endorganschädigungen aufweisen, muss die Therapie entsprechend angepasst werden. Oft ist eine Kombinationstherapie von 2 oder mehr Medikamenten notwendig, um den systolischen Blutdruck unter 140 mmHg zu senken. Nach Initiieren einer Therapie sollten regelmässige Blutdruckkontrollen auch beim stehenden Patienten durchgeführt werden, um mögliche lageabhängige Hypotonien rechtzeitig zu erkennen.
Diastolische Herzinsuffizienz
Als direkte Folge einer langbestehenden oder nicht adäquat behandelten Hypertonie kann es zum Auftreten einer linksventrikulären Hypertrophie kommen. Das Auftreten einer linksventrikulären Hypertrophie wird oft von einer Relaxationsstörung des Myokards (diastolische Dysfunktion) begleitet und kann sich mit den klassischen Symptomen einer Herzinsuffizienz wie Belastungsdyspnoe, Orthopnoe oder paroxysmaler nächtlicher Dyspnoe bemerkbar machen. Erst in den letzten Jahren wurde die Bedeutung der linksventrikulären diastolischen Dysfunktion erkannt. Diese Form der Herzinsuffizienz mit erhaltener linksventrikulärer systolischer Funktion tritt mit fortschreitendem Alter häufiger auf und erreicht bei 80-Jährigen eine Häufigkeit von ca. 50%. Neueste Arbeiten im New England Journal of Medicine aus diesem Jahr konnten zeigen, dass die Morbidität und Mortalität der diastolischen Herzinsuffizienz nur geringfügig niedriger ist als die der systolischen Herzinsuffizienz. So liegt die Mortalität nach 1 Jahr bei 22.2% bzw. 25.5% und nach 5 Jahren bei 65% bzw. 68%. Leider zeigen diese Arbeiten auch, dass trotz Verbesserung der medikamentösen Therapie, die Mortalität der systolischen Herzinsuffizienz während der letzten 20 Jahre nur unwesentlich verringert werden konnte, während die der diastolischen Herzinsuffizienz nahezu unverändert blieb.
Auch diese Daten belegen die Notwendigkeit einer adäquaten und rechtzeitigen Therapie der Hypertonie zu Verhinderung einer linksventrikulären Hypertonie und daraus resultierender diastolischer Herzinsuffizienz.
Dr. med. Matthias Hermann Klinik für Kardiologie, UniversitätsSpital Zürich
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25.09.2006 - ssc |
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