Genetische Beratung bei familiärer Prädisposition zu Malignomen
Allgemeines
Hereditäre Krebserkrankungen sind insgesamt selten. Die Identifikation einer pathogenen Mutation hilft lediglich, das Risiko, an Krebs zu erkranken, abzuschätzen. Mit Ausnahme weniger Krebssyndrome mit einer Penetranz (Manifestationsvermögen einer Erbanlage) von nahezu 100% lässt sich eine Krebserkrankung bei einer Person mit nachgewiesener Mutation nicht sicher voraussagen. Eine zu einem malignen Tumor begünstigende Mutation ist also nicht einer Krebsdiagnose gleichzusetzen, sondern bloss Ausdruck einer Veranlagung, an Krebs zu erkranken.
Welche Auffälligkeiten in der Anamnese sprechen für ein hereditäres Krebssyndrom? Als suggestive Aspekte sind zu nennen:
- Neoplasien bei ≥ 2 miteinander nahe verwandten Personen
- ≥ 2 Generationen in Folge von typischen Malignomen betroffen, autosomal dominante Vererbung
- Frühes Erkrankungsalter
- Meta- oder synchrones Auftreten von mehreren typischen Tumoren bei derselben Person
- Inkomplette Penetranz, variabel je nach Population
- Charakteristische Tumorhistologie und -lokalisation
- Ethnische Zugehörigkeit zu einer Risikopopulation (z.B. aschkenasisch-jüdische Abstammung)
Die autosomal dominante Vererbung zeichnet sich durch folgende Merkmale aus: Nur eine Kopie eines Allels ist erforderlich zur Expression des Phänotyps. Ursächliche Gene sind meist auf Autosomen (geschlechtsunspezifischen Chromosomen) lokalisiert, somit sind Frauen und Männer in gleicher Weise betroffen. Die Weitervererbung an die Nachkommen geschieht mit 50%-iger Wahrscheinlichkeit. Ein vertikales Vererbungsmuster liegt vor: mehrere aufeinander folgende Generationen sind betroffen.
Was ist der Zweck einer genetischen Beratung? Primär geht es um die Erhebung von Daten aus der persönlichen Anamnese sowie der Familienanamnese. Auf deren Basis und mittels Berechnungen aus Modellen kann eine erste Risikostratifizierung vorgenommen werden. Das Beratungsgespräch dient der Vermittlung von Informationen und hat zum Ziel, bestehende Ängste und Unsicherheiten abzubauen.
Die Vor- und Nachteile, die sich aus einer genetischen Testung ergeben, sind in der Tabelle 1 zusammengefasst.
Tabelle 1: Vor- und Nachteile einer genetischen Testung (Bild vergrössern, Bild anklicken)
Eine genetische Beratung umfasst mehrere Schritte. Nach dem Erstgespräch findet eine Risikoevaluation durch ein Spezialistenteam statt, deren Ergebnis einbezogen wird in die Entscheidungsfindung für oder gegen eine Testung. Bei Vorliegen des Testresultats folgen weitere Beratungen zur Vermittlung optimaler Vorsorgemassnahmen für den/die Mutationsträger/in und deren Angehörige.
Die heute verfügbaren Testverfahren erlauben die Untersuchung einiger weniger hereditärer Krebssyndrome.
Da die meisten Zuweisungen an unsere Beratungsstelle Brustkrebserkrankungen betreffen, möchte ich näher auf die hereditären Mammakarzinom-Syndrome eingehen.
Hereditäre Mammakarzinome
Hereditäre Mammakarzinome bei Keimzellmutationen in einzelnen Genen machen nur 5 - 10% aller Brustkrebserkrankungen aus. Tabelle 2 enthält eine Zusammenstellung der heute bekannten ursächlichen Gene und der mit den pathogenen Mutationen in den jeweiligen Genen assoziierten Krebssyndrome. In der Praxis kommt vor allem den BRCA1- und BRCA2-Mutationen eine Bedeutung zu. Allerdings sind nur bei ca. 40% aller vererbbaren Mammakarzinome pathogene Mutationen in einem der BRCA-Gene verifizierbar. Die grösste Anzahl ist wahrscheinlich auf bisher unentdeckte Gene zurückzuführen.
Tabelle 2: Ursächliche Gene und assoziierte hereditäre Mammakarzinomsyndrome (zur Vergrösserung: Abbildung anklicken)
BRCA1- und BRCA2-Mutationen
Beim BRCA1- und BRCA2-Gen handelt es sich um sogenannte Caretaker-Gene, welche für die Wahrung der Integrität der DNA zuständig sind. Spontane pathogene Mutationen in diesen Genen sind äusserst selten. Die Wahrscheinlichkeit, im Verlauf des Lebens an einem Mammakarzinom zu erkranken, liegt für BRCA1- und BRCA2-Mutationsträgerinnen bei 40 - 85%. Deutlich erhöht ist auch das Risiko eines Ovarialkarzinoms: bei nachgewiesener BRCA1-Mutation beträgt es bis 50%, bei einer BRCA2-Mutation bis 20%. Typisch sind ein frühes Manifestationsalter (Mammakarzinome: 38 - 45 Jahre, Ovarialkarzinome: 48 - 51 Jahre) sowie beidseitige Tumoren. Männer mit BRCA1- und BRCA2-Mutationen erkranken vermehrt an Prostatakarzinomen und im Falle einer BRCA2-Mutation ebenfalls gehäuft an Mammakarzinomen. In geringerem Ausmass prädisponieren BRCA1-Mutationen ausserdem zu Kolonkarzinomen und BRCA2-Mutationen zu Malignomen der Gallenblase und Gallenwege, des Magens, des Larynx und Pharynx, des Pankreas sowie zu Melanomen.
Zur Risikoeinschätzung, ob eine Mutation vorliegen könnte, stehen drei Modelle zur Verfügung, die Daten aus der Familienanamnese und persönlichen Anamnese berücksichtigen. Es sind dies das Gail-, Claus- und BRCAPRO-Modell. Das eigentliche Testverfahren besteht in einer Sequenzierung der DNA des BRCA1- und BRCA2-Gens und bedarf einer Dauer von drei bis sechs Monaten. Hierzu ist eine einmalige Asservierung von 40 mL Blut erforderlich. Welche Tumorvorsorgemassnahmen werden für BRCA1- und BRCA2-Mutationsträgerinnen empfohlen? In erster Linie ist eine engmaschige klinische und radiologische Überwachung (s. Tabelle) zu nennen. Mit keiner der heute gebräuchlichen Screening-Untersuchungen ist es bisher jedoch gelungen, Frühformen des Ovarialkarzinoms zuverlässig zu erfassen. Weiter sollte die Möglichkeit einer präventiven Mastektomie und/oder Ovarektomie diskutiert werden. Mehrere Publikationen belegen deren klare Überlegenheit punkto anhaltender Tumorfreiheit im Vergleich zur alleinigen Überwachung.
Als heutige gängige Standardverfahren gelten die totale beidseitige Mastektomie und die bilaterale Salpingo-Oophorektomie. Die Entscheidung zu einer prophylaktischen chirurgischen Intervention sollte erst nach vorsichtigem Abwägen der damit verbundenen individuellen Vor- und Nachteile getroffen werden und vor allem nur dann, wenn dies dem klaren Wunsch der Mutationsträgerin entspricht.
Die Chemoprävention mit antihormonellen Substanzen ist Gegenstand laufender Studien und hat in diesem Kontext noch keinen etablierten Stellenwert. Ob eine Antiöstrogenprophylaxe bei Mammakarzinompatientinnen mit BRCA1-Mutationen, deren Tumoren in 90% der Fälle Oestrogenrezeptor negativ sind und meist auch keine Progesteronrezeptoren exprimieren, überhaupt sinnvoll ist, wird zurecht in Frage gestellt. Allgemein akzeptierte Vorsorgeempfehlungen für männliche Mutationsträger existieren zum aktuellen Zeitpunkt nicht.
Vorschlag eines Überwachungsschemas (Abbildung 1) bei Nachweis oder hoher Wahrscheinlichkeit einer BRCA1- oder BRCA2-Mutation.
Abbildung 1: Überwachungsschema (zur Vergrösserung: Abbildung anklicken)
Hereditäre Mammakarzinome beim Li-Fraumeni-, Cowden-, Muir-Torre- und Peutz-Jeghers-Syndrom treten früh und häufig bilateral auf. Sie manifestieren sich in Assoziation mit den für das jeweilige Syndrom charakteristischen sonstigen Merkmalen (Li-Fraumeni: Sarkome, Leukämien, Hirn- und Nebennierenrindenkarzinome; Cowden: Hamartome, Papillome, uterine Leiomyome, Makrozephalie; Muir-Torre: Tumoren aus dem Formenkreis des Lynchsyndroms; Peutz-Jeghers: benigne gastrointestinale Polypen, Pigment-Anomalien).
Konklusion
Zur Analyse ursächlicher Mutationen von hereditären Tumorerkrankungen stehen heute erst einige wenige etablierte Testverfahren zur Verfügung. Der Nachweis einer pathogenen Mutation in einer Familie erlaubt die Formulierung konkreter Vorsorgestrategien sowie die Identifizierung von Angehörigen, welche ihrerseits mit grosser Wahrscheinlichkeit Mutationsträger sind. Personen, aus deren persönlicher Anamnese oder Stammbaum sich Hinweise auf ein vererbliches Krebssyndrom ergeben, sollten einer Beratungsstelle für hereditäre Malignome zugeführt werden. Durch gezielte präventive Massnahmen können weitere Malignome in über Generationen von Krebsleiden belasteten Familien verhindert werden.
Besprechung von Dr. med.Susanna Stoll, Klinik und Poliklinik für Onkologie, Universitätsspital Zürich
Referenzen
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