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Unterscheiden sich depressive Erkrankungen im Alter von Depressionen junger Menschen und worin?

Häufigkeit von Depression im Alter

Die zwei häufigsten psychischen Krankheiten, die bei alten Menschen die höchsten Prävalenzraten aufweisen, sind Demenz und Depression. Im Gegensatz zur Demenz, bei der man zwischen dem 65. und 85. Lebensjahr von einem nahezu exponentiellen Anstieg der Häufigkeit ausgehen kann, ist dies bei den depressiven Erkrankungen weniger klar (Ernst u. Angst 1995). Es gibt Untersuchungen, die dafür sprechen, dass es im Alter weniger Depressionen gibt als bei jüngeren Erwachsenen (Weissman et. al 1988), während andere Autoren von einem häufigeren Auftreten von Depressionen im Alter ausgehen (Welz et. al. 1989) und einige Autoren von einer Altersunabhängigkeit der Depression sprechen (Morgan et. al. 1987). Die Depressionen sind bei Frauen etwa doppelt so häufig wie bei Männern. Hierbei ist interessant, dass depressive Männer allgemein mehr über somatische Beschwerden klagen, während Frauen höhere Werte sowohl beim Ausdruck positiver als auch depressiver Affekte erhalten (Linden et al 1998).

 

Biologische Faktoren

Über viele Jahren wurde in Fachkreisen diskutiert, ob zerebrales Altern die Ursache der Depression im höheren Alter ist. Der altersbezogene Konzentrationsabfall der Neurotransmitter Noradrenalin und Serotonin im Gehirn, während gleichzeitigem Anstieg von Monoaminooxidase (MAO) und 5-Hydroxyindolessigsäure (5-HIAA) konnten bisher nicht als prädisponierende Faktoren der Depression im Alter schlüssig belegt werden. Zahlreiche neuroendokrinologische Untersuchungen haben einen Zusammenhang zwischen Hyperkortisolämie und Depression nachgewiesen, wobei allerdings eine erhöhte Kortisolsekretion für die Äthiopathogenese der Depression inzwischen relativiert wurde.  Depressionen kommen häufiger bei Menschen mit schweren Hirnläsionen und ausgeprägten Funktionsstörungen vor. Etwa 40% der Patienten entwickeln nach einem Schlaganfall eine depressive Verstimmung. Hier ist die Depression nicht nur als Reaktion auf körperliche Behinderung zu verstehen, sondern hängt mit der Lokalisation der ischämischen Läsion eng zusammen. Die Studien zeigen, dass eine höhere Prävalenz depressiver Zustände bei links-anterioren Ischämien vorkommt. Viele Patienten mit neurologischen Erkrankungen wie Parkinson, Multiple Sklerose oder Morbus Huntington leiden zuvor an einer Depression. Eine Depression kann das erste Anzeichen eines Karzinoms, insbesondere der Lunge oder des Gehirn sein.

 

Zur Unterscheidung zwischen sozialen, psychologischen und biologischen Faktoren siehe Tabelle 1.

 

Depressive Erkrankungen im Alter vs. Depressionen bei jüngeren Menschen?

Eine Depression bei älteren Menschen ist häufig eine unzulänglich diagnostizierte und behandelte Krankheit. Im Vergleich zu jüngeren Menschen bestehen Unterschiede:

  • in altersspezifischen Auslösefaktoren
  • im Erscheinungsbild
  • im Verlauf
  • in der Auflösung

Psychosoziale Faktoren und Verlustereignisse

Psychosoziale Faktoren, die zu einer psychischen Krise führen, resultieren aus komplexen, wissenschaftlich nur schwer beschreibbaren Wechselwirkungen zwischen dem Individuum und seiner Umwelt. Die individuelle biografische Entwicklung eines Menschen ist für die psychische Gesundheit im Alter von grösster Bedeutung, weil die gelernten Strategien, zur gelungenen Kompensation und Anpassung in der spätere Lebensphase angewendet werden. Ältere Menschen sind aber stärker vielen Verlusterlebnissen ausgesetzt, die Risikofaktoren bei der Entstehung der Depression darstellen.

 

Zu den Verlustereignissen bei älteren Menschen zählen nicht nur die offensichtlichen und universellen Verluste, die durch den Eintritt in den Ruhestand und durch Todesfälle im nahen Umfeld eintreten, sondern auch die fundamentaleren Verluste der Würde und einer Rolle im Leben. Physische Krankheit führt zum Verlust der Mobilität und zum Verlust der Selbständigkeit und Autonomie. Dazu kommen noch die Ängste vor Zunahme der Beschwerden, die zur Invalidvisierung, Pflegebedürftigkeit und Abhängigkeit führen können. Die Pflege eines Partners mit Demenz bedeutet in jeden Fall eine grosse Belastung und erhöht die Anfälligkeit für eine Depression. Der Tod des Partners oder eine schwere Erkrankung des eigenes Kindes sind ein schreckliches Ereignis und können schwere depressive Episoden auslösen.

 

Zusammenhang zwischen Depression und Tagesaktivitäten

Ein wichtiges Thema bei der Entstehung der Depression im Alter ist das Profil der Tagesaktivitäten. Es gilt zu bedenken, dass betagte Menschen in der Regel keiner Arbeit mehr nachgehen und auch von vielen anderen Rollenverpflichtungen entbunden sind (Henderson et. al. 1993). Berufliche Erfolge heben unser Selbstwertgefühl und so lange ein Mensch berufstätig ist, hat er das Gefühl, dass das Alter noch vor ihm liegt. Oft ist die Einstellung zur Pensionierung als «totaler Neubeginn» eine schmerzhafte Illusion. Nach der Pensionierung fällt die tägliche Befriedigung im Beruf weg und hinterlässt eine schmerzliche Leere, die oft nur mühsam mit neuen Möglichkeiten der Befriedigung gefüllt werden kann. Nicht selten kommt dazu, dass wegen der beruflichen Tätigkeit unerledigt gebliebene innere Konflikte plötzlich aufbrechen.

 

Zusammenfassend kann man sagen, dass im Alter ein komplexes Zusammenwirken intra- und interindividueller Variabilität bei Entstehung der Depression wichtig ist.

 

Atypisches Erscheinungsbild

Die Altersdepression zeigt häufig ein «atypisches» Erscheinungsbild: Sie ist oft nicht von trauriger Verstimmtheit geprägt, sondern von körperlichen Beschwerden wie Schmerzen, die gerade bei multimorbiden Patienten so dominierend sein können, dass Monate vergehen, bis die Diagnose gestellt wird. Oft beginnt die Depression mit kognitiven Störungen wie Gedächtnis-, Merkfähigkeits- oder Konzentrationsstörungen. Plötzlich kann man beim Zeitung oder Bücher lesen die Informationen nicht mehr behalten.

 

Verlauf

Die depressiven Episode dauern länger, die freien Intervalle zwischen den depressiven Phasen sind kürzer. Aufgrund ihrer atypischen Symptomatologie und unzureichender Informationen über die Krankheit, wird sie häufig verkannt oder als Verschlechterung chronischer körperlicher Krankheiten interpretiert. Dadurch ist die Tendenz zur Chronifizierung depressiver Zustände im Alter stärker (7%), als in «jüngeren» Jahren (3%). Die älteren Menschen verhindern das Erkennen depressiver Störungen, indem sie beim Hausarzt ungern psychische Problemen besprechen oder sich vor allem über körperliche Symptome beklagen. Wahnhafte Depressionen sind häufiger und Suizidalität vor allem bei den Männern ist doppelt so häufig wie in den jüngeren Jahren.

 

Unterschiedliche Auflösung

Bei jüngeren Personen ist das Vulnerabilitäts-Stressmodell von grosse Bedeutung mit den vier Hauptbereichen Ausbildung, Beruf, Partnerschaft und Familie. Bei den Älteren stehen zwei Bereiche im Vordergrund: körperliche Krankheiten und Lebensereignisse, die die Anpassungsfähigkeit einer älteren Person überfordern (Übertritt ins Altersheim, körperliche Krankheiten, Pflegebedürftigkeit des Partners usw.).

 

Depression vs. Demenz

Ein weiteres Problem ist die unzureichende differenzialdiagnostische Abgrenzbarkeit von anderen psychischen Krankheiten. Dabei stellt vor allem der Überschneidungsbereich der Symptome zwischen Demenz und Depression ein Problem dar. Einerseits sind bei depressiven Erkrankungen im Alter häufig kognitive Defizite nachweisbar, die fälschlicherweise als Symptom von Demenz interpretiert werden können, andererseits führen Demenzen bereits im Anfangsstadium neben klinisch noch kaum fassbaren Gedächtnisstörungen zu Antriebsminderung, zu Motivationsverlust und zu Stimmungsschwankungen, die als Symptome einer Depression gewertet werden können. Es lassen sich folgende gemeinsame Symptome beobachten:

  • Kognitive Beeinträchtigung
  • Depressive Verstimmung
  • Psychomotorische Hemmung
  • Ängstliche Agitiertheit
  • Verlangsamung
  • Schlafstörungen
  • Sozialer Rückzug
  • Körperliche Vernachlässigung

 

Eine hauptsächliche Hilfe für die Differentialdiagnose liegt in der genauen Anamneseerhebung und Verhaltensbeurteilung des Patienten. Eine Ergänzung bildet die Befragung der Angehörigen und anderer Bezugspersonen (Hell 1993). Klinische Beobachtungen zeigen, dass dementielle Syndrome in der Regel eine über lange Zeit unauffällige Vorgeschichte zeigen, der zeitliche Beginn der Erkrankung nur unsicher festzulegen ist und so die Patienten spät zu einer Arztkonsultation kommen. Tendenziell können diese Patienten ihre Symptome lange verheimlichen bei gutem sozialem Funktionsniveau. Bei depressiven Patienten findet sich häufig eine auffällige Vorgeschichte, die Patienten beklagen früh kognitive Einbussen und entsprechend kommt es früh zu einer Konsultation (Stoppe et al 1993). Das Erkennen der Depression bei älteren Menschen ist Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie. Das wichtigste Screeningverfahren ist die Geriatrische Depressionsskala.

 

Die kognitive Untersuchung sollte mit dem Mini Mental State (MMS) und dem Uhrentest beginnen.

 

Depression im Kontext körperlicher Morbidität

Ein diagnostisches Problem, das ebenfalls in besonderer Weise alte Menschen betrifft, ist die Abgrenzung bzw. der Zusammenhang von Depression mit verschiedenen körperlichen Erkrankungen. Manche Erkrankungen können sowohl als Ursache als auch als Folge einer Depression diskutiert werden. Es gibt Hinweise, die dafür sprechen, dass körperliche Krankheiten und Behinderungen eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung von Depressionen spielen (Katona 1994).Umgekehrt kann eine Depression zur Vernachlässigung der Selbstpflege, zu inadäquater Ernährung oder zu Veränderungen der Immunabwehr und dadurch zu einer Verschlechterung der körperlichen Gesundheit führen (Berkman und Breslow 1983). Dazu kommt die häufig schwierige Frage, ob Klagen über somatische Beschwerden depressiver Personen Symptome einer bestehenden somatischen Erkrankung oder Ausdruck der Depression selber sind. Schlaflosigkeit und chronische Schmerzen sind in vielen Fällen Faktoren, die den Weg in die Depression beschleunigen. Schlaganfälle und Herzinfarkt werden insbesondere bei älteren Menschen mit einer hohen Inzidenz von Depression in Verbindung gebracht.

 

Suizidalität im Alter

Besondere Themen im Zusammenhang mit Depressionen im Alter sind Lebensüberdruss und Suizidalität. Das Altern ist ein heterogener Prozess der entsprechende verschiedene Dimensionen der menschlichen Existenz in unterschiedlichen Verlaufsformen zeigt. Ebenso wie die junge Generation sich in ihrer gesellschaftlichen Rolle beständig neu definiert und damit die Gesellschaft insgesamt verändert, geschieht dies heute auch im Alter stärker als in der Vergangenheit, auch in der Generation der Senioren. Das Ausscheiden aus dem Berufsleben, die Bewältigung körperlicher Einschränkungen, gehäufte Verlusterlebnisse, fehlender sozialer Rückhalt sowie schwindende Zukunftsperspektiven können zur Erschütterung der Lebenskonzepte führen. Alte Menschen wie jüngere entwickeln eine neue Identität häufig ohne Vorbilder, Zukunftsformen und Perspektiven. Sinnsuche, Wertsuche und Wertfindung ist keine Strategie zur Behebung einer vitalen Krise, sondern ein lebenslanger Prozess. Wenn dieser Prozess abgebrochen wird, verlieren die lebensgestaltenden Funktionen ihren Wert und verhindern die Lösungen von Problemen. Es kann beim alten Menschen, wie bei anderen, eine depressive suizidale Krise ausbrechen. Suizidalität ist im Alter besonders ernst zu nehmen, da die Suizidraten eindeutig höher sind, wenn man das Verhältnis von Suizidversuchen und gelungenen Suiziden bei alten Menschen bedenkt. Während jedoch in den jüngeren Altersgruppen das Verhältnis von Suizid zu Suizidversuchen mit 1:10 angegeben wird, erreicht es in der Altersgruppe über 60 Jahren nur noch eine Relation von 1:2 (Dankwarth 1991, Kreitmann 1980). Dies ist nicht wie häufig vermutet, eine Bilanzziehung, sondern ebenso eine Affekthandlung subjektiver und affektiver Störungen mit komplexer Begründung, wie in der Psychodynamik bei jüngeren Menschen. Der Suizid eines alten Menschen hat beide Anteile, also den rationalen und den affektiven, was jedoch oft unterschlagen wird. Die bisherigen Studien über Suizidalität besagen, dass insbesondere über 65-jährige Menschen, vereinsamte Menschen nach Partnerverlust, Rollenverlust oder bei Polymorbidität eine Risikogruppe darstellen (Hell 1993).

 

So kann man zusammenfassen, dass sich Suizid im Alter nicht grundsätzlich vom Suizid in jüngeren Jahren unterscheiden lässt.

 

Menschen am Ende eines langen Lebens, müssen sich verständlicherweise intensiver mit dem Tod auseinandersetzen als jüngere Menschen. Andererseits können Lebensüberdruss und Suizidalität sowohl Ausdruck wie Konsequenz einer depressiven Störung sein (Illhardt und Wolf 1996).

 

Die Daten aus den Altersstudien weisen darauf hin, dass Todesgedanken und Wünsche auch im hohen Alter regelhaft mit einer depressiven Störung einhergehen. Häufig ist dem Suizid ein jahrelanger Prozess von Entwertungen vorausgegangen. Oft haben Menschen jahrelang Wertfragen ausgeblendet und sind in dieser angeblichen Wertfreiheit bestärkt worden
(Illhard und Wolf 1996) Die Bewältigung solcher Fragen gehört zum Alternden (Radebold 1997, Krebs-Roubicek 1990). Als psychotherapeutische Konsequenz empfiehlt sich die Arbeit an der Schaffung neuer Wertkomplexe, damit verbleibende Möglichkeiten entdeckt und die möglichen Hilfestellungen akzeptiert werden können.

 

Bezüglich Therapieansätzen gibt es für Ältere grösstenteils ähnliche Zielsetzungen wie für Jüngere (Hirsch 1988). Dabei sollen altersspezifische Fragestellungen wie die Bearbeitung der Verlustthematik, die Auseinandersetzung mit Alter und Tod, die Förderung der verbleibenden Selbständigkeit, das Erarbeiten praktischer Lösungen und das Fördern des Gegenwartsbezugs aber mitberücksichtigt werden.

 

 

Dr. med. Jokica Vrgoc-Mirkovic, Leitende Ärztin Gerontopsychiatrie, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Littenheid

 

Referenzen
Literatur beim Verfasser.

 

 
Medizin Spektrum
 
01.08.2005 - dde
 



 
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