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Ausgewählte Faustregeln in der Rhythmologie oder: Was mache ich ohne EKG?

Wenn Sie – wie der Autor selbstverständlich auch – der festen Überzeugung sind, dass das EKG die wichtigste Untersuchungstechnik der Medizin überhaupt ist, dass es darüber hinaus die gesamte Kardiologie mit seiner geradezu königlichen Eleganz zu krönen vermag und überhaupt durch nichts zu ersetzen ist, dann brauchen Sie hier nicht weiterzulesen. Beachten Sie vielleicht noch die Artikel in diesem Heft von Frau Dr. Tanner und Prof. Delacrétaz über neue elektrophysiologische Techniken bzw. von Frau Dr. Schwick über die Definite-Studie und widmen Sie sich dann lieber den wirklich wichtigen Dingen im Leben, wie z.B. dem EKG. Dieser Artikel hier richtet sich nämlich an eine kleine und sehr schwierig zu integrierende Randgruppe unserer Gesellschaft, welche entweder vom EKG nichts versteht, dessen Wichtigkeit noch nicht erfahren hat, oder schlicht der irrigen Meinung ist, das EKG habe in der modernen Medizin nichts mehr zu suchen. Diesen bedauernswerten Geschöpfen soll mit ein paar Faustregeln geholfen werden, wie sie sich wenigstens ansatzweise in der grossen Welt der Rhythmologie zurechtfinden können. Selbstverständlich können unter den gegebenen Umständen diese Faustregeln nicht erschöpfend und nicht für alle Fälle vollständig korrekt sein. Sie sind vielmehr als katastrophenmedizinische Hilfsmittel gedacht.

 

Vorhofflimmern

Beginnen wir doch mit dem häufigsten Problem in der Rhythmologie, dem Vorhofflimmern. Die Diagnose liegt im wahrsten Sinne des Wortes auf der Hand, wenn Sie beim Fühlen des Pulses eine absolute Arrhythmie feststellen (kein Intervall ist gleich wie das andere). Das Wichtigste ist jetzt, erstens die Thromboembolie zu verhindern und zweitens dem Patienten nicht zu schaden.

 

Wer ist gefährdet, einen Insult zu erleiden? Bestimmen Sie bei Ihrem Patienten den sogenannten CHADS-Punkte-Score. CHADS steht für:

 

 

Das Risiko der Thromboembolie ist gering bei einem CHADS-Score von O Punkten, es ist mässig bis mittelstark erhöht bei 1-2 Punkten und es ist hoch bei 3 und mehr Punkten. Patienten mit O Punkten können nicht oder mit Azetylsalizylsäure behandelt werden, Patienten mit 1 oder 2 Punkten sollen mit Azetylsalizylsäure  oder einer oralen Antikoagulation behandelt werden und Patienten mit 3 und mehr Punkten sollen oral antikoaguliert werden. Der Ziel-INR beträgt 2-3.

 

Soll man versuchen, den Sinusrhythmus wiederherzustellen, oder soll man sich mit einer einfachen Frequenzkontrolle begnügen? Die alleinige Frequenzkontrolle liefert bezüglich Morbidität und Gesamtüberleben die gleichen Resultate, wie das Wiederherstellen des Sinusrhythmus (bei den über 65-Jährigen ist die Frequenzkontrolle besser). Das Wiederherstellen des Sinusrhythmus ist wesentlich teurer, führt zu häufigeren Hospitalisationen und mehr Patienten werden konsekutiv mit einem Schrittmacher behandelt werden müssen. Die Lebensqualität der Gesamtpopulation ist mit beiden Therapiestrategien vergleichbar, im Einzelfall aber mit der einen oder anderen Therapie unter Umständen wesentlich besser und potentiell ausschlaggebend für Ihre Entscheidung. Der durchaus wünschbare Verzicht auf die Dauerantikoagulation ist allerdings kein Argument für die Option Wiederherstellung des Sinusrhythmus; denn bei der Mehrzahl der Patienten rezidiviert das Vorhofflimmern trotz Elektrokonversion und Antiarrhythmika. Weil dieses Rezidiv meist asymptomatisch bleibt, sind die Patienten ungeschützt wieder dem Risiko eines Insultes ausgesetzt. Im schlimmeren Falle wird das Rezidiv des Vorhofflimmerns mit einer zerebralen Embolie symptomatisch. Obwohl keine Studiendaten vorliegen, wird deshalb zunehmend häufig auch in dieser Situation zur Dauerantikoagulation geraten.

 

Die akute Frequenzkontrolle bei tachykardem Vorhofflimmern mit Herzinsuffizienz erfordert eine intravenöse Therapie entweder mit Digitalis oder mit Esmolol. Die akute intravenöse Frequenzkontrolle bei Patienten ohne Herzinsuffizienz erzielt man mit Verapamil, Diltiazem oder Esmolol. Langfristig wird die Frequenzkontrolle bei Herzinsuffizienten mit Betablockern, ev. in Kombination mit Digitalis erzielt. Bei nicht herzinsuffizienten Patienten sind die Betablocker ebenfalls erste Wahl, bei Lungenerkrankungen kann eventuell Verapamil oder Diltiazem der Vorzug gegeben werden. Sowohl Kalziumantagonisten wie auch Betablocker können bei Bedarf mit Digitalis kombiniert werden.

 

Denken Sie vielleicht daran, dass es heute möglich ist, in vielen Fällen paroxysmales und in manchen Fällen auch persistierendes Vorhofflimmern kurativ mit Kathetertechnik zu behandeln. Dazu müssten Sie allerdings mit jemandem Kontakt aufnehmen, der in Bezug auf das EKG eine möglicherweise etwas von Ihrem Standpunkt aus gesehen abweichende Meinung vertritt.

 

Synkope

Ein zweites häufiges Problem ist die Synkope. Eine Synkope ist der vorübergehende und kurzdauernde Verlust sowohl des Bewusstseins als auch des für die aufrechte Köperhaltung notwendigen Muskeltonus. Die Anamnese ist wegleitend und der Wert eines Gespräches mit jemandem, der das Ereignis beobachtet hat, ist unersetzlich und mit tausend Untersuchungen nicht aufzuwiegen (wie Sie wissen, insbesondere nicht mit einem EKG).

 

Nichts mit einer Synkope zu tun hat beispielsweise ein epileptischer Anfall: bei diesem beginnen die tonisch-klonischen Krämpfe zusammen mit dem Sturz. Bei der Synkope kommen solche Bewegungen meist gar nicht vor oder sie dauern nur ganz kurz (sehr selten kommt es bei einem längere Zeit schwer beeinträchtigten Kreislauf zu tonisch-klonischen Bewegungen, in diesem Falle aber nicht zusammen mit dem Sturz, sondern im Verlauf der Ohnmacht). Bei einem epileptischen Anfall können Automatismen oder hemilaterale Bewegungen auftreten, es kann eine Aura (häufig als sog. «déjà-vu») vorangehen, der Zungenbiss ist typischerweise lateral (und nicht an der Spitze, wie typischerweise beim Aufschlagen) und nach dem Anfall besteht eine Konfusion und Muskelkater. Bei der Synkope sind Prodromi fakultativ und treten dann meist als Nausea, Brechreiz, Hitzegefühl oder Schwitzen in Erscheinung. Die Erholungszeit ist bei der Synkope kurz.

 

Zwei Fragen sind nach der Diagnose einer Synkope sofort «sur place» von Ihnen zu beantworten:

  • 1. Wie gross ist das Risiko eines plötzlichen Herztodes?
  • 2. Wie gross ist das Rezidivrisiko?

Um die erste Frage beantworten zu können, müssen Sie eine Familienanamnese (plötzlicher Herztod, koronare Herzkrankheit) und die persönliche Anamnese erheben (Herzerkrankung, Medikamente, Psyche), Sie brauchen einen Körperstatus und (ich weiss, das hören Sie gar nicht gerne) ein EKG. Ein mit diesen Basisuntersuchungen erzgesunde Person mit normalem EKG hat quo ad vitam eine gute Prognose (umgekehrt erleidet jeder Dritte mit schwerer Herzkrankheit innerhalb eines Jahres nach Synkope unbehandelt den plötzlichen Herztod). Vergessen Sie nicht, auch wenn Sie keine offensichtliche Herzerkrankung finden, zwei im Spontanverlauf meist fatal verlaufende Ursachen für eine Synkope in Betracht zu ziehen, nämlich die Aortendissektion und die schwere Lungenembolie.

 

Zum zweiten Punkt: Um das Wiederholungsrisiko der Synkope einschätzen zu können, muss deren Ursache geklärt werden. Hier hilft ebenfalls in erster Linie die Anamnese weiter. Aufgrund der Umstände können Sie zum Beispiel die häufige und oft rezidivierende sog. vasovagale Synkope erkennen. Dass besonders beim älteren – auch herzgesunden – Menschen eine Synkope ohne Prodromi (sich plötzlich am Boden liegend wieder vorfinden) an eine AV-Blockierung oder einen Sinusstillstand denken lassen, ist bekannt.

 

Paroxysmales regelmässiges Herzrasen

Paroxysmales regelmässiges Herzrasen kann durch verschiedene Mechanismen bedingt sein und verleitet, wie Sie wissen, einige notorische Besserwisser dazu, im EKG nach deren Zeichen zu suchen. Für Sie ist auch ohne EKG klar, dass es sich beim anfallsweisen regelmässigen Herzrasen bei einer Frau, die das Klopfen im Hals verspürt, um eine AV-Knoten-Reentry Tachykardie handelt und dass vagale Manöver umso erfolgreicher sind, je rascher sie nach Beginn des Anfalles eingeleitet werden (Beine hochlagern oder kauern, gleichzeitig lange pressen, Gesicht in kaltes Wasser tauchen, mit dem Finger im Hals Brechreiz auslösen, kalte Flüssigkeit trinken, ev. Karotisdruck). Selbstverständlich bekannt ist, dass diese Art von Tachykardien sehr häufig Angst auslösen, obwohl die Betroffenen selbst am besten wissen, dass die Anfälle nicht lebensbedrohlich sind. Dass diese Rhythmusstörungen prophylaktisch mit Betablockern behandelt werden, ist Ihnen klar und dass beim Versagen dieser Therapie die Katheterablation fast immer kurativ ist, ebenfalls (wobei das Risiko einer durch die Ablation entstehenden Schrittmacherbedürftigkeit um 1% liegt). Sie wissen auch, dass die AV-Knoten-Reentry Tachykardien, wie gesagt, nicht nur bei Frauen wesentlich häufiger auftreten als bei Männern, Sie wissen auch, dass diese Rhythmusstörungen auf Amiodaron schlecht ansprechen, im Spontanverlauf bis in das höchste Alter immer wie häufiger auftreten, länger dauern und auf vagale Manöver immer wie schlechter ansprechen.

 

Anfallsartiges Herzrasen bei einem Mann, der das Klopfen nicht im Hals, sondern über der Brust maximal empfindet, ist meist auf eine akzessorische Bahn zurückzuführen. Wenn die Tachykardien störend sind, ist die Therapie erster Wahl die Katheterablation. Eine asymptomatische Präexzitation muss elektrophysiologisch abgeklärt werden, aber so etwas Exotisches werden Sie in Ihrer Praxis sowieso nie sehen, weil sie ja keine derartigen Kurven anfertigen lassen.

 

Eine regelmässige Herzfrequenz von 150/min ist in erster Linie Vorhofflattern mit 2:1-Leitung auf die Kammern, in zweiter Linie Vorhofflattern mit 2:1-Leitung auf die Kammern und in dritter Linie ebenfalls.

 

Langes QT-Syndrom

Das lange QT-Syndrom ist in Ihrer Praxis selbstredend eine ganz besondere Rarität. Immerhin kennen Sie die Website www.qtdrugs.org, wo Sie alle Angaben finden, die in solch heiklen Fällen weiterhelfen.

 

Monomorphe Kammertachykardien

Monomorphe Kammertachykardien schliesslich führen in einigen Kreisen zu hektischem EKG-Registrieren und im Anschluss daran zu oft mit erstaunlicher Begeisterung geführten Diskussionen. Mit nie enden wollendem Enthusiasmus werden Brillen auf die Nasenspitzen geschoben und mit Akribie Zeichen irgendwelcher EKG-Veteranen rezitiert, welche bei der Beantwortung der alten Frage weiterhelfen, ob es sich nun bei der vorliegenden Breitkomplextachykardie um eine supraventrikuläre mit Schenkelblock-aberration oder eben doch um eine Kammer- tachykardie handelt. Dabei ist es für Sie nicht neu, dass zwei Fragen an den Patienten die Sache klar machen. Die beiden Fragen lauten:

  • 1. «Haben Sie früher einen Herzinfarkt erlitten?»
  • 2. «Haben Sie vor dem Herzinfarkt auch schon ein solches Herzrasen verspürt?»

Wenn der Patient die erste Frage mit «ja» und die zweite mit «nein» beantwortet, liegt eine Kammertachykardie vor. Zur Verkürzung der langen Wartezeit, mit der zu rechnen ist, bis die Kollegen mit ihren albernen Kurven wieder aus dem Arztbüro auftauchen, kann der Spitalarzt seiner Freude an klinischen Untersuchungen nachgeben. Er könnte einen Blick auf den Hals werfen, um die manchmal vorliegende Dissoziation von Vorhöfen und Kammern zu beobachten, oder auskultieren, um im Falle einer Dissoziation dem «bruit de canon», dem intermittierend paukenden ersten Herzton, sein Ohr zu leihen. In der Regel dauert es allerdings erstaunlich lange, bis Ihre Kollegen die Kurven erschöpfend analysiert haben und Ihre Diagnose bestätigen können.

 

 

Dr. med. Jürg Fuhrer, Schweizer Herz- und Gefässzentrum Bern, Universitätsklinik Inselspital, Bern.



 
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